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Der Umweg nach Santiago

Der Umweg nach Santiago

Titel: Der Umweg nach Santiago Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cees Nooteboom
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wird frisches Schilf gebracht, als Unterlage, damit die Kälte des Steinfußbodens nicht hochkriecht. Rot, Silber, Schwarz, mit allem Putz und Pomp, eine aussterbende Gattung. König, Maler, Zwerg, in ihrer Hofkleidung müssen sie sich in diesem kargen Land wie ein Traum vorgekommen sein.
    1990

E IN R AUNEN VON G OLD UND B RAUN UND B LEIGRAU
    Zu den Malern, die man liebt, entwickelt sich mit der Zeit eine richtige Beziehung, bei der man zum Schluß nicht mehr weiß, wann und warum sie begann. Mit Zurbarán geht mir das schon seit Jahren so, wie ich alten Reisenotizen, Aufzeichnungen aus dem Skulpturenmuseum in Valladolid, aus dem Prado, aus dem berühmten Kloster Guadalupe, aus Sevilla entnehme. In Valladolid hängt nur ein Zurbarán, doch der ist dann gleich der allermerkwürdigste. Wenn ich in meinen Notizen, sofern ich sie noch entziffern kann, nachschaue, fällt eines immer wieder besonders ins Auge: der Stoff. In Zeiten, in denen die Menschen viel Stoff an sich trugen, haben alle viel Stoff gemalt, freilich keiner so wie Zurbarán. Bei ihm ist Tuch kein Attribut mehr, sondern etwas Eigenständiges. Nimm Kopf und Hände des Märtyrers Serapion weg, und es bleibt ein aufrechtstehendes Tuchmonument, eine Konstruktion, die sich, gleichgültig, an welchem Punkt man mit der Arbeit des Betrachtens beginnt, als gleichrangiger Gegenpart erweist und sich mit ihren Rätseln dem Betrachter entzieht. Doch darüber gleich mehr.
    Vielleicht war ich dafür prädestiniert, Zurbaráns Werk zu lieben, vielleicht liebe ich es auch aus den falschen Gründen, wenngleich so etwas wahrscheinlich nicht möglich ist. Der eine Grund ist Spanien. Als 1837 die Spanische Galerie Louis-Philippes in Paris eröffnet wurde, sprach Circourt vom »iberischen Leichenhaus«. Er meinte damit das Spanien der Inquisition, den Fanatismus, das vom Tod Fasziniertsein, das von Europa isolierte Gegenteil der Aufklärung. Die Ironie bestand natürlich darin, daß es der Aufklärung zu verdanken war, daß er diese Gemälde sehen konnte. Die regierenden Liberalen Spaniens hatten die Klöster geschlossen und deren Besitz konfisziert. Die Folge war ein unvorstellbarer Ausverkauf von Kunst.
    Der andere Grund sind die Mönche. Zurbarán hat mehr davon gemalt als irgend jemand sonst, weiße, graue, braune, schwarze. Einige Arten sind inzwischen ausgestorben, andere sind so, wiesie auf diesen Bildern zu sehen sind, noch immer im Kurs. Das trifft in der Geschichte der Malerei sonst fast nur noch auf Nackte zu. Malerei als ökologisches Prinzip. Ich selbst bin von Mönchen erzogen worden (Franziskanern, Augustinern) und besuche auf meinen Reisen immer noch hin und wieder eine Abtei (Trappisten, Benediktiner, Karthäuser). Es gibt sie also noch, selbst wenn sie fast unsichtbar geworden sind und man sie kaum in freier Wildbahn antrifft. Aber wenn man sie sieht, sind sie wie auf den Bildern Zurbaráns gekleidet. Daraus lassen sich keine großen Schlüsse ziehen, aber leugnen läßt es sich auch nicht. Kutten, Habite, Kapuzen, Skapuliere sind gewöhnlich aus schwerem Stoff gefertigt – in Klöstern ist es oft kalt. Während ich dies schreibe, fühle ich das Rauhe, Faserige des Stoffs, ich habe diese Berührung seit meiner Klosterzeit nicht vergessen. Ich fühle es auch, wenn ich ein Gemälde von Zurbarán sehe. Synästhesie.
    Was wären denn die falschen Gründe, Zurbaráns Bilder zu lieben? Das muß dann mit einer Einstellung zu Spanien zusammenhängen, die noch irgendwo in mir schlummert, weil Spanien ein Land derartig verwirrender Gegensätze ist. Es ist pathetisch, in den Tod verliebt, bereit, sich von Europa abzuwenden, ein Land, das seit dem Zerfall der Habsburger Träume einsam hinter den Pyrenäen vor sich hin fault, bigott und absolutistisch zugleich. Das neunzehnte Jahrhundert schwelgt in diesem Bild:
    Moines de Zurbarán, blancs Chartreux
    qui, dans l’ombre
    glissent silencieux sur les dalles des morts,
    murmurant des Paters en des Avés sans nombre ...
    schreibt Théophile Gautier, und dieses obskurantistische Pasticcio bleibt hängen und findet für den, der will, Bestätigung genug in den Bildern, die dieses Jahrhundert liefert, Menschen, die auf Knien zu Heiligtümern rutschen, Stierkämpfe, die auf eine imaginäre Vorzeit verweisen, Prozessionen angsteinflößender Vermummter und vor allem – und hier kommt der Tod nun wirklich ins Spiel – die Greuel eines bis zum Letzten ausgefochtenen Bürgerkriegs.
    Zurbarán, Der heilige Serapion
    Wer aber nur

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