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Der Umweg nach Santiago

Der Umweg nach Santiago

Titel: Der Umweg nach Santiago Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cees Nooteboom
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auf dem Londoner Bildnis (National Gallery) die Insignien des Goldenen Vlieses trägt oder daß der Stoff des Wamses beim Prado-Porträt schlichter ist – es ist das Gesicht, das alle Aufmerksamkeit auf sich zieht, und es ist nicht das Gesicht aus den verzweifelten Briefen, sondern das eines Königs, so, wie es für die anderen auszusehen hat. Fischaugen hat man diese Augen genannt, dann aber die Augen einer unvorstellbar uralten Spezies, die wohl in großer Tiefe schwimmt und noch nie von einem Menschen gesehen wurde. Es wehrt ab, dieses Gesicht, es verbirgt sich, gibt sich aber, und das ist das Geheimnisvolledaran, gleichzeitig dem Maler preis, und so spaltet es sich, entblößt sich in seiner Abwehr, schafft eine unüberbrückbare Distanz und ist doch ganz nah, so weit weg wie ein König und so nah wie ein Freund, der sich von einem Freund malen läßt.
    Was der Freund gesehen haben muß, war das Ende einer Linie. In Spanien sollte nur noch ein Habsburger folgen, Karl der Behexte. Von seinen acht Urgroßeltern waren sieben Nachfahren von Johanna der Wahnsinnigen, der Mutter Karls V . Diese Habsburger vererbten einander nicht nur diese wahnwitzigen Kiefer (Karl V . konnte seinen Mund gar nicht richtig schließen), sondern auch sonst noch allerlei Mißliches aus dem inzestuösen Suppentopf, so daß der letzte von ihnen körperlich verfiel, gleichzeitig mit seinem Reich. Unentschlossenheit, verhängnisvolle Zauderei, Verschwendungssucht, Mißwirtschaft, religiöse Verblendung, krampfhafter Imperialismus – in sechs aufeinanderfolgenden Generationen durften alle Leiden und Laster mehr oder weniger stark mitköcheln, nebst Gicht, Epilepsie, Sprachstörungen, überdrehten sexuellen Trieben, extremer Nervosität, religiöser Melancholie.
    1647 heiratet Philipp IV . seine Nichte Maria Anna von Österreich. Die Braut ist dreizehn. Von sechsundfünfzig ihrer Vorfahren sind achtundvierzig auch Vorfahren dieses Onkels, der ihr Mann wird, und dessen Sohn sie hätte heiraten sollen, wäre der nicht vorzeitig verstorben. Um den französischen Bourbonen Schach zu bieten, mußte ein spanischer Habsburger her. Der Menstruationszyklus der Kindkönigin wurde zu einem Faktor im europäischen Kräfteverhältnis, und an dem Hof, an dem Gerüchte mit ihrer politischen Ladung ein Eigenleben führten, malte der Maler Marionetten und ihre Drahtzieher. Als er die Königin 1653 auf der Leinwand festhält, ist sie neunzehn und nicht glücklich. Es gibt keine Konvention, die besagt, daß Könige und Königinnen auf Bildern lachen müssen, aber wenn es so etwas wie das Gegenteil eines Lachens gibt, dann steckt es in der Haut rund um den kleinen roten, mit einem mutwilligenweißen Strich zum Glänzen gebrachten Mund. Der Maler ist ein Meister dieser Technik, er zwingt einen immer wieder zu vergessen, daß es ein Trick ist, eine minimale Bewegung und eine minimale Farbmenge. Bei Philipps Porträt, dem späten, sind es einsam leuchtende Tupfer, die anzeigen, wo die blonde hochstehende Tolle sich wellt: Da kippt das Haar nach hinten, man weiß genau, wie dünn es war, wie es sich anfühlte. Im Grunde hat man das Haar dann schon angefaßt, auch wenn der Mann bereits seit Jahrhunderten tot ist, genauso wie man um den Mund seiner Frau spüren konnte, wie die Haut sich mißbilligend spannt, geschürt von der angehaltenen Luft darunter, der permanenten kalten Wut. Die Illusion wird nicht von dem Hyperrealismus des Feinmalers erzeugt, durch Ab-Bildung, sondern durch Einbildung, Illusion, nonchalante Täuschung, die die Realität verstärkt, sprezzatura , die Geste des Höflings, der perfekte Winkel seiner Verbeugung, der winzige und nicht wiederholbare Augenblick des Malers, durch den ein kalter Mund für alle Zeiten glänzt. Ist diese Wut meine Interpretation? Ich glaube nicht, ich kann sie sehen, weil der Maler sie sah. Fürstenkinder waren Pfänder , an ihren sterblichen Körpern hingen Gebietserweiterungen, Bündnisse, Landstriche, die noch kaum ausgereiften Körper mußten Thronfolger produzieren, Dynastien festigen: Zuchtvieh im Dienste der Staatsraison. All das liegt in diesem Mund. Die Nachricht, daß man nicht seinen jungen Vetter heiraten wird, der gestorben ist, sondern dessen Vater, der noch lebt und zwar der eigene Onkel ist, jedoch eine fremde Sprache spricht. An seinem Hof, der dann der eigene ist, gehören Irre, Narren und Zwerge zur täglichen Entourage, doch man darf nicht über sie lachen, denn eine Königin lacht nicht. Und dann muß

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