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Der Umweg nach Santiago

Der Umweg nach Santiago

Titel: Der Umweg nach Santiago Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cees Nooteboom
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ein Gewand wie ewiges Feuer. Doch dahinter und daneben jene andere, hier noch seltenere Farbe, das Grün der flämischen Landschaft, und ich merke, daß es ein Anflug von Heimweh ist, mit dem ich dieses satte, wogende, grüne Land (ein Feld mit krausen Bäumen, in der Ferne meergrüne Hügel, ein Jäger? mit herumtollenden Hunden auf der grünen Wiese, ein hellblauer See mit Schwänen, ein Bauernhof mit offenem Gatter, ein Obstbaum, ein Weg, ein Hang, zwei hohe Bäume) der Trockenheit des Goldes gegenüberstelle, Gold, das die Verlockung des kolonialen Spaniens war, das damit seinerseits Gott betören wollte – und das Spanien nur Unglück brachte, weil die Spanier den Boden,von dem sie leben mußten, seinetwegen vernachlässigten. Ich weiß jetzt auch, was ich nicht suche, und gehe hinaus, wo es hell ist. Ich bin noch immer nicht in Santiago.
    1982

E INE K ÖNIGIN LACHT NICHT
    Als ich nach ein paar Stunden aus dem Prado trete, sind die beängstigenden Scharen nicht da, die sich an anderen Tagen wie eine menschliche Schlange um das strenge Gebäude winden. Es war Montag, ich hatte die Ausstellung fast allein sehen dür fen in der unwirklichen Stille eines leeren Museums. Das läßt einen nicht unberührt. Große Kunst gibt Rätsel auf, und man muß sehen, wie man damit zurechtkommt. Es war Frühling, Madrid ohne die verheerende Hitze der späteren Monate, licht, luftig, eine Stadt auf einer Hochebene. Ich hatte Gemälde gesehen, die ich schon jahrelang kannte, und andere, die ich noch nie gesehen hatte, neunundsiebzig insgesamt, Stilleben, Genredarstellungen und Porträts, die ein Königsleben begleitet hatten, mythologische und religiöse Szenen, Reiter, Zwerge, Trinker, Narren, und immer wieder Augen und Mund des Habsburgerkönigs Philipp IV . Vor allem aber hatte ich natürlich Velázquez gesehen und fragte mich, wer dieser Höfling war, der so weit in das Netz der Macht eingedrungen war, daß er die Personen, die die Hauptrollen darin spielten, aus nächster Umgebung malen konnte. Er hatte sich selbst zu einem Rätsel gemacht, so wie auch Rembrandt und Vermeer Rätsel sind, einmal mit diesem hintergründigsten aller Gemälde, Las Meninas , aber auch mit der sich über beider Erwachsenenleben erstreckenden Serie von Königsporträts.
    Mehr als dreißig Jahre liegen zwischen dem ersten und letzten, das geteilte Leben – Velázquez lebte am Hof, der König kam oft in sein Atelier und nahm den Maler auch mit auf Reisen – muß ein Element des Selbstporträts in diese Königsbildnisse gebracht haben, das vielleicht nur für sie beide erkennbar war. Der Höfling, der in immer byzantinischere Höhen an einem Hof erhoben wurde, an dem der König nicht in Gesellschaft seiner eigenen Frau speisen konnte und auch bei der Taufe seiner eigenen Kinder nicht zugegen sein durfte, der König, der heimlich Briefe an eine aragonesische Nonne über seine unbezähmbare Lust,seine Seitensprünge, seine Ausschweifungen und Gottes Strafe dafür, die Niederlage bei Rocroi und den Aufstand in Portugal, schreibt, der Niedergang der Habsburger und der unaufhaltsame Aufstieg des Hidalgo-Malers, das alles ist in diesem letzten Porträt, eigentlich sind es zwei, zu lesen. Irgendwann zwischen 1655 und 1660 müssen die beiden Bilder entstanden sein. Der Maler wird 1660 sterben, der um fünf Jahre jüngere König wird ihn nur um wenige Jahre überleben.
    Zwei Gemälde, ein König, ein in die Jahre gekommener desillusionierter Mann, einer, der die ererbte Masse seines Reiches auseinanderdriften sah und sie nicht mehr in den Griff bekommen konnte, ein schwacher Mann, in Habsburger Zweifeln befangen, der seine Schwäche kannte und das Regieren falschen Ratgebern wie dem conde-duque Olivares überließ. Wenn man sich diesen nördlichen Kopf anschaut, kann man sich nicht vorstellen, daß der Mund je Spanisch gesprochen hat, aber das ist akademisch, denn in Gemälden wird nicht gesprochen, und dieser König, der der Legende nach in seinem Leben nur dreimal gelächelt hat, ist auf seinen Porträts in Stille erstarrt. Er brauchte auch nichts zu sagen, er hatte Augen und er hatte einen Maler. Die strenge Moral hatte den üppigen Spitzenkragen abgeschafft, an seine Stelle war die golilla getreten, ein gestärkter weißer Kragen, der fast die Form eines Tellers hat und, wenn man nur lange genug hinschaut, den Kopf vom Körper zu trennen scheint, so daß das königliche Haupt wie auf einer Schale liegt. Da spielt es auch keine Rolle mehr, daß der König

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