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Der Umweg nach Santiago

Der Umweg nach Santiago

Titel: Der Umweg nach Santiago Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cees Nooteboom
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man noch diesen großen Königsleib auf sich dulden, denn ein Erbfolger muß her, sonst verschieben sich die Kontinente.
    So wie die japanischen Kaiser die Nacht vor ihrer Inthronisation an einem einsamen Ort verbringen müssen und sich mit der Sonnengöttin vereinigen, so fand die erste Begegnung der spanischen Habsburger mit ihren Gemahlinnen in irgendeinem Weiler statt, ohne den geringsten Komfort und ohne Speis und Trank. Bei Philipp und Maria Anna war es Navalcarnero, ein verlassenes Dorf mitten in der steinigen, einsamen Ebene. Sie durfte von seiner Gegenwart nichts wissen, so daß er sie heimlich beobachten konnte. Schließlich hatte auch er sie noch nie gesehen. Die Ehe wurde eine Katastrophe, doch an diesem Abend gefiel sie ihm. Wir werden nie wissen, wie sie aussah, wenn sie lachte, aber vielleicht tat sie es dieses eine Mal, denn eine kleine Komödie wurde gegeben. War der Maler zugegen? Auch das wissen wir nicht. Sein König hatte ihn seit 1623 immer wieder im Rang erhöht, vom pintor de cámara , Hofmaler, zum ujier de cámara , Kammerjunker,dann zum alguacil de casa y corte , Haushofmeister, und ayuda de guardarropa , ein Titel, der übersetzt so albern klingt, daß ich ihn lieber so stehenlasse. In den darauffolgenden Jahren sollte er noch viel höher steigen, aber all diese Bizarrerie war gesellschaftliche Wirklichkeit, es waren reale Ämter, die wahrscheinlich erklären, weshalb Velázquez kein größeres Œuvre hinterlassen hat. Jedenfalls konnte er bei so viel physischer Nähe sein künftiges Modell gut studieren, und umgekehrt neigt auch sie nicht mehr dazu, ihr Innerstes vor diesem täglich Anwesenden zu verbergen, und so steht sie da, ein Körper in einer Konstruktion.
    Velázquez, Las Meninas
    Mitunter hat man gewisse Bilder zu oft gesehen, dann teilt sich ihre Eigenart nicht mehr mit. Guardainfante heißt das Kleidungsstück, in dem die Königin abgebildet ist, nach den weit überstehenden Kissen oder Turnüren, die sich in Taillenhöhe befinden und zu den Seiten hin ausladen. Es scheint, als käme sie dahergesegelt, es fällt schwer, sich einen Körper darunter vorzustellen, den einer hochgewachsenen, langbeinigen, nördlichen Frau. Der Rock ist durch die guardainfantes und durch das Reifengestell, das das Ganze halten soll, so weit geworden, daß es zu einer gräßlichen Verzerrung und Leugnung des Körpers darunter kommt, sie ist unten breiter als insgesamt hoch, und das macht sie zu einer Art Kleidfrau, einer Kleidmeerjungfrau, deren Unterleib aus einer Halbkugel aus schwarzem Samt besteht, überreichlich mit Silber besetzt, das sich hart anfühlen muß. Kein Zweifel, von unten ist diese Frau ein Ding, sie kann ihre kleine glänzende, weißrosa, eigentlich nur angedeutete Hand mit dem übergroßen Taschentuch (die gleiche Hand, die später, als sie bereits Witwe und als Nonne gekleidet ist, von anderen Malern so nackt wie eine Hühnerklaue dargestellt werden wird) darauflegen, als gehörte diese samtene, sich nach vorn bauschende Fläche nicht wirklich zu ihr. Etwas Ähnliches geschieht mit ihrem Kopf, ein halber, breiter Nimbus, der keine Tiefe zu haben scheint, ein unten gerade abgeschnittener Haarschirm umrahmt ihr Gesicht, wieder ein Ding, das sich um ihre Körperlichkeit schließt, sieeinkapselt und zugleich betont. Das Resultat ist Majestät, und weil die nun dargestellt und festgehalten ist, darf auch die Psyche derjenigen, die diese Majestät tragen muß, zum Ausdruck kommen. Auf der gesamten bemalten Fläche hat die königliche Person/der Maler noch keine fünf Prozent sichtbaren Körper – Hände, Hals, Gesicht –, um die Idee der Kleidfrau auszudrücken, und es ist dieser Teil, den sie gemeinsam malen, auch wenn es natürlich sein Geschick war, sie dazu zu bringen.
    Von manchen Bildern kann man sich nur sehr schwer lösen, weil das Vis-à-Vis so zwingend wird. Als der Maler fort ist, bin ich allein mit der Frau (nun, da sich in dem Raum, in dem ich stehe, kein anderer Besucher aufhält, bin ich allein mit diesem Bild). Durch das Augenblickhafte, das sich auf der Leinwand abspielt, wird die Illusion erzeugt, sie wäre echt. Sie atmet, sie könnte sich bewegen, trotz der völligen Ruhe, in der sie da steht. Das verleiht dem Augenblick eine erotische Konnotation, der ich mich nicht entziehen kann, selbst wenn sie tot ist und ich noch nicht geboren und damit unsichtbar bin. Nun, da die gesellschaftliche Unerreichbarkeit weggefallen ist, ist an ihre Stelle die physische getreten,

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