Der Umweg nach Santiago
mohnfarbenen Flecken in dem Fächer rings um das Königinnenhaupt, die wilde Jagd weißer und roter Tupfer in dem Tierschwanz, der ihre manierierte Frisur zu einer Krone erhebt.
Wie machte er das? Schnell, sagen die Zeitgenossen. Aber wie reimt sich das mit seiner Trägheit, seinem Phlegma, von dem sie ebenfalls berichten? Als der Maler zu lang in Italien bleibt und der König ihn vermißt, schreibt dieser an den Herzog del Infantado, Velázquez solle zurückkommen, und zwar sofort, denn, so steht es in seiner eigenen Hand geschrieben, »ya conocéis su flema« , Ihr kennt sein Phlegma. Und dennoch malte er alla prima , machte keine Skizzen (es gibt kaum eine Zeichnung von ihm), und seine frühesten Bilder sind bereits verblüffend perfekt, als brauchte er nichts zu lernen. Schnelligkeit, Trägheit und die Einheit der Gegensätze, Ortega y Gasset wußte dieses Problem zu erklären: Es gibt Menschen, die angesichts existentieller Eile nur eine Haltunghaben, die absoluter Ruhe, und so einer war Velázquez: »Er wußte auf exemplarische Weise, wie man nicht existieren durfte« ( »yo veo en Velázquez uno de los hombres que más ejemplarmente han sabido (...) no existir« ). Das formalistische Hofleben war genauestens reglementiert, der Maler war mit zahlreichen zeitraubenden Aufgaben betraut, die nichts mit seiner Kunst zu tun hatten, und nur einer, der die Zeit für sich selbst abgeschafft hatte, konnte über die Zeit verfügen, in der man Dinge hervorbringt, die die Zeit ein für allemal überlisten oder leugnen.
1599 geboren, war er zwölf, als er in seiner Heimatstadt Sevilla zu Francisco Pacheco in die Lehre kam. Das Atelier war ein geistvoller, hochkultivierter Begegnungsort, wo er auch dem conde-duque Olivares vorgestellt wird, der ihn später an den Hof holen soll. 1618 beendet er seine Ausbildung, heiratet im Jahr darauf die Tochter seines Lehrers (sie wird eine Woche nach dem Maler sterben). 1623 malt er den König zum ersten Mal, von nun an wird der Hof seine Welt. Für Spanien war es eine Zeit des Niedergangs, der Armut, erdrückender Steuerlasten, zum Scheitern verurteilter Kriege, für den Hof eine Zeit exzessiver Feste, Fraktionen, Intrigen. Was Velázquez von alledem hielt, wissen wir nicht. Während eines Feldzugs in Aragonien malt er innerhalb weniger Tage zwei Porträts, das des Königs in Kriegsuniform und das dessen Zwergs, Don Diego de Acedo, »El Primo«. Der eine war in seinem Königsein gefangen, der andere in seinem zu kleinen Körper. Natürlich malt der Maler die äußere Rangordnung, aber etwas anderes leuchtet durch sie hindurch, das Wesen, die Seele, das, was einem bewußt macht, daß Velázquez jedem der beiden Männer ihren eigenen Wert zuerkannte, weil er ihre Wahrheit kannte.
Und nun noch Las Meninas. Ich werde dieses Gemälde wohl nie mehr so allein sehen dürfen, aber das half nicht, es ist und bleibt eine Falle, und ich bin nicht der einzige, der da hineingefallen ist. Foucault ringt damit in Die Ordnung der Dinge , Luca Giordano sagte: »Dies ist die Theologie der Malerei«, und Théophile Gautier rief: »Aber wo ist das Bild?« Die Frage ist verständlich, dennwas ich sehe, ist ein Maler, der gerade ein Bild malt, das ich nicht sehen kann. Was ich sehen kann, ist das Bild, auf dem dieser Maler ein Bild malt, das ich nicht sehen kann, wobei er mich anschaut, den er nicht sehen kann. Ich will natürlich gern einräumen, daß er nicht mich anschaut (weil er mich nun einmal nicht sehen kann), aber als er das Bild malte, muß er gewußt haben, daß jeder Nooteboom, Foucault oder Gautier, der davorstünde, immer denken würde, der Maler sähe ihn an. Er tritt einen Schritt von dem Gemälde zurück, das er gerade malt (und das wir nie sehen werden, es sei denn, es wäre das Gemälde, das wir sehen), er hat seinen langen, feinen Pinsel in eine helle Farbe getaucht (keine Farbe, die ich an diesem Tag trage), er schaut noch kurz (auf wen?) und wird gleich weitermalen. Ich weiß das, weil er sich selbst auf dem Bild abgebildet hat, das ich sehe. Aber ist er auch auf dem Bild, das ich nicht sehe? Maler malen ihr Selbstporträt mit Hilfe eines Spiegels. Steht an der Stelle, an der ich jetzt (das heißt eine Minute oder drei Jahrhunderte später) stehe, ein Spiegel, in dem er sich malt? Aber er malt doch nicht das Bild, das ich sehe? Auf dem Bild, das ich sehe, malt er doch ein anderes Bild? Aber wer ist darauf zu sehen? Wen sehen außer dem Maler die drei, vielleicht fünf, mit den beiden
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