Der Umweg nach Santiago
das sehen will, vergißt, daß dieser Krieg gerade um der Modernität willen ausgetragen und von denen gewonnen wurde, die die Verlierer zu sein schienen. Es hatte den Anschein, als werde Franco ewig regieren, doch unter ihm wurde das andere Spanien vorbereitet, und nun ist es da, als hätte jemand die Pyrenäen beiseite geschoben, als hätte das Land erst jetzt den Zusammenbruch unter Philipp II . überwunden, den Verlust vonKolonien und Einfluß verarbeitet und könnte jetzt mit der ganzen Energie dessen mitmachen, der lange geschlafen hat. In Spanien nennt man diesen Augenblick transición , Übergang, und man muß das Land aus der Franco-Zeit kennen, um zu spüren, mit welchem Überschwang die Veränderung – nicht zuletzt in der Kunstwelt – sich vollzieht. Man könnte sagen, daß das Land den Übergang feiert , mit großen Ausstellungen betont es seine neue Präsenz, seine Sonderstellung zwischen Europa und Lateinamerika, seine gefühlsbetonte historische Beziehung zu den Ländern Nordafrikas.
Warum aber Zurbarán? Warum diese sonderbare Obsession mit Märtyrern, Mönchen, Gekreuzigten, Heiligen? Wer interessiert sich noch für dieses alte Spanien, das jetzt so rasend schnell von uns wegzudriften, das Dantes Welt näher zu liegen scheint als unserer? Die Antwort muß einfach lauten, weil es nichts zur Sache tut. Zurbarán war aufgrund seiner persönlichen Situation und der Zeit, in der er lebte, dazu verurteilt, Mönche zu malen. Mönche waren seine Brot- und Auftraggeber, schrieben ihm, und zwar äußerst minuziös, die Themen vor.
Ich erinnere mich an ein Gespräch, das ich einmal in Florenz mit einem niederländischen Maler führte, der sagte, ihm werde »speiübel« von all diesen Kreuzigungen, Verkündigungen, der ewig wiederkehrenden Anbetung der Heiligen Drei Könige oder von Jesus am Geißelpfahl. Er sprach aus dem Luxus eines Künstlers heraus, der sich seine Themen selbst aussucht, Auftragsarbeit verachtet, und wäre wahrscheinlich lieber gestorben, als sein Leben lang Mönche malen zu müssen. Dabei malte Zurbarán gar keine Mönche. Er malte Kutten. Er malte Stoff. Hokusai malte jeden Tag einen Löwen in der Hoffnung, irgendwann einmal den vollkommenen Löwen zu Papier zu bringen. Ich weiß, daß ich hier verschiedenen Aspekten von Zurbaráns Kunst unrecht tue, aber ich kann es nicht lassen. Stoff, matter . Womit Zurbarán sich auseinandersetzte, Bild für Bild, war Materie, die Plastizität (Falten) von Materie, die Primärfarben.
Alles zusammengenommen, muß er endlose Meter Weiß undSchwarz gemalt haben, mitunter mehrere Quadratmeter pro Bild. Alle Rätsel, die dabei in bezug auf Licht und Schatten auftauchen, alle sich aus dem Stoff-Fall ergebenden Veränderungen des Lichteinfalls hat er gemalt, und wenn ich nun frech die bestellten Bilder, die der Künstler Zurbarán zu liefern hatte, von dem trenne, was er wirklich tat, so bleibt dies übrig: ein ensayo , ein Essay über das Verhältnis von Licht, Farbe und Stoff, wie es dies bis Cézanne nicht mehr geben sollte. Nochmals, ich tue hier einer Reihe glänzender und für seine Verhältnisse sogar sehr farbiger Bilder unrecht, und ich bin mir bewußt, daß ich im Grunde sage, daß das Thema keine Rolle spielte, daß es ihm um etwas anderes ging, das weit jenseits von Psychologie oder Handlung lag, eine Studie, die solch intensive Formen annahm, daß man von Mystik sprechen kann. Und dann ergibt sich das Paradox, daß nicht das Bild, selbst wenn es eine mystische Erfahrung darstellt, den Eindruck des Mystischen erweckt, sondern daß diese Wirkung von zwei mal zwei Meter Weiß oder Schwarz, von denen das anekdotische Auge einfach abgleitet (nur ein Stück Kutte in der rechten unteren Ecke), ausgeht.
Auf Reproduktionen, so gut sie auch sein mögen, ist davon nichts zu erkennen. Dazu muß man sich die Bilder selbst ansehen, und das habe ich getan. Ich habe sie an den Orten aufgesucht, in die sie gereist waren oder in denen sie leben (Guadalupe, Sevilla). Bilder leben auch, wenngleich manchmal im Exil. Meine beiden letzten Begegnungen fanden in New York und Paris statt. Dieselbe Ausstellung und doch nicht dieselbe. Bilder, die in New York fehlten ( La Santa Faz, Das Schweißtuch der Veronika , aus Valladolid), sind in Paris, Bilder, die man in Paris schmerzlich vermißt ( Bodegón , das schaurige Stilleben aus dem Museum in Barcelona), hingen in New York.
Vielleicht ist dies der richtige Augenblick, um eine Ungereimtheit zu bekennen. Nachdem ich
Weitere Kostenlose Bücher