Der Umweg
rief: » Done! « Der Hausarzt wuchtete sich vom Stuhl und dankte ihr. Die Friseurin machte keine Anstalten, zur Kasse zu gehen.
Als er vor ihr stand, zündete er sich eine neue Zigarette an. »Kommst du noch mal vorbei?« fragte er.
»Warum?«
»Dann kann ich mir die Wunde ansehen. Unter anderem.«
»Ich glaube, das ist nicht nötig.« Sie blickte stur auf ein Foto von einem riesigen grünen Kürbis.
»Wie du meinst«, sagte der Arzt. »Ganz wie du meinst.« Er ging.
»Nimm bitte Platz«, sagte die Friseurin. »Dann werden wir die Haare erst mal schön waschen.«
Weiche Hände. Hände, die kneteten und streichelten. Das Wasser hatte genau die richtige Temperatur, das Shampoo roch sehr angenehm. Wenn es nach ihr ging, konnte das Schneiden noch warten.
»Wie willst du’s haben?« fragte die Friseurin. »Nur Spitzen schneiden?«
»Kurz bitte. Praktisch.«
»Das mit dem Dachs. Stimmt das denn wirklich?«
»Ja«, sagte sie. »Und Dachse kommen auch tagsüber raus.« Während des Haareschneidens wurde nicht mehr gesprochen. Nach einer Viertelstunde glaubte sie trotz des Shampoos wieder die Witwe Evans zu riechen. Sie betrachtete sich im Spiegel – Nacken und Hals waren ganz frei von Haar, das Gesicht blaß, die Augen dunkel – und wußte, daß sie jetzt eine Bitte äußern würde, die sie noch nie geäußert hatte. »Könnten Sie mich vielleicht umdrehen?«
»Was?«
»Umdrehen. Den Stuhl.«
»Aber wieso?«
»Weil ich …« Sie wußte nicht, was sie sagen sollte.
»Dann kannst du ja gar nicht sehen, was ich mache«, sagte die Friseurin.
»Ich habe volles Vertrauen zu Ihnen. Ich lasse mich gern überraschen.«
»So was hab ich noch nie erlebt«, erklärte die Friseurin, während sie mit dem Fuß den Stuhl drehte. »Außerdem kann ich dann auch selbst nicht so gut sehen, was ich tue.« Sie schnipste eine Zigarette aus ihrem Päckchen, öffnete die Tür, steckte den Kopf hinaus, blickte einmal nach links und rechts und ließ die Tür einen Spalt offen. Dann legte sie die brennende Zigarette auf den Aschenbecher. »Ist das in Holland so üblich?« fragte sie.
»Nein.«
»Na ja, von mir aus.« Eine weitere Viertelstunde später war sie fertig, neue Kunden waren nicht gekommen. Mit dem Fön trocknete die Friseurin das Gel, das sie ins Haar gerieben hatte, und modellierte mit groben Fingern die Frisur. Die Zigarette auf dem Aschenbecher war von selbst heruntergebrannt.
Sie stand auf und ging zu der kleinen Kassentheke, ohne sich zum Spiegel umzudrehen.
»Willst du’s dir denn nicht ansehen?«
»Nein. Ich möchte mich wirklich überraschen lassen.«
Die Friseurin starrte sie an und öffnete den Mund, vielleicht um zu fragen, ob das in Holland so üblich sei.
»Das macht mir Spaß«, sagte sie.
Die Friseurin klappte den Mund zu und tippte ärgerlich einen Betrag ein, die altmodische Kasse klingelte laut.
Sie bezahlte, sagte freundlich auf Wiedersehen und verließ den Laden. Sie schloß die Tür nicht ganz. Als sie ein Stück gegangen war, drehte sie sich um und sah die Friseurin vor ihrem Laden stehen; eine Hand hatte sie in die Achselhöhle geschoben, die Brüste ruhten auf dem Unterarm, in der anderen hielt sie eine Zigarette; sie starrte demonstrativ die Parfümerie gegenüber an. Das blondierte Haar wirkte spärlich in der langsam aufsteigenden, von der Sonne beleuchteten Rauchwolke. In den engen Straßen und auf dem Parkplatz riß sie sich noch zusammen, obwohl kaum Leute unterwegs waren. Erst als sie im Wagen saß und sich im Rückspiegel sah, ein erschrockenes Tier, fing sie an zu weinen.
25
Sie inspizierte den Holzvorrat im Schweinestall. Schätzte und rechnete und beschloß, nicht mehr jeden Abend in mehreren Zimmern Feuer zu machen. Dann würde es reichen. Und falls ihr das Holz doch ausgehen sollte, konnte sie sich immer noch an den großen Herd in der Küche setzen.
Auch heute schien die Sonne, und Zigarettenrauch stieg senkrecht auf wie gestern, als die Friseurin vor dem Laden geraucht hatte. Sie lehnte sich an die helle Stallmauer, spürte durch ihr Schlaf-T-Shirt die Wärme im Rücken, aber ihr Nacken fühlte sich kalt an. Und der Kopf leicht, als wäre kiloweise Haar abgeschnitten worden. Sie rauchte mit geschlossenen Augen.
Hier stand sie nun, keine Termine, keine Verpflichtungen. Dann fielen ihr die Gänse ein und der Bindfaden am Weg und doch eine Verpflichtung – beim Bäcker in Waunfawr Brot zu kaufen –, und sie hatte das Gefühl, daß ihr alles über den Kopf wuchs. Sie
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