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Der Umweg

Der Umweg

Titel: Der Umweg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerbrand Bakker
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mit Mohairwollsocken an den Füßen und nacktem, tätowiertem Oberkörper sprang durch den Saal. Er brüllte Unverständliches. Vielleicht ein Dialekt aus dem Osten des Landes. Der Mann wollte nicht an den Studenten denken, er wollte ruhig bleiben.
    »Es wird ja nun langsam Zeit«, meinte die Schwiegermutter.
    »Ach.«
    »Wie alt bist du jetzt?«
    »Dreiundvierzig.«
    »War alles in Ordnung zwischen euch?«
    Der Mann dachte einen Augenblick nach. »Nein.« Nach einer Weile sagte er noch einmal: »Nein.«
    »Der spinnt wirklich«, stellte der Schwiegervater fest.
    »Aber er ist im Fernsehen«, sagte der Mann.
    »Woran lag’s denn? Was war los?« fragte die Schwiegermutter.
    »Ach.«
    »Und jetzt?«
    »Noch abwarten?« schlug der Mann vor.
    »Und nach dem Abwarten?«
    »Vielleicht zur Polizei. Ich könnte ja den Beamten, der mich vernommen hat, mal fragen, was wir für Möglichkeiten haben.«
    »Bist du denn mit dem noch in Kontakt?«
    »Nach der Vernehmung sind wir ein Bierchen trinken gegangen.«
    »Warum das?«
    »Einfach so. Er war nett.«
    »Obwohl er dich eigentlich hätte einsperren müssen.«
    »Das brauchte er wie gesagt nicht.«
    »Polizisten sind auch ganz normale Menschen«, meinte der Schwiegervater.
    »Woher weißt du das denn?« fragte die Schwiegermutter.
    »Ach, Frau.«
    Dem Mann fiel auf, wie liebevoll das klang.
    Die Schwiegermutter trank den letzten Schluck Wein. »Tee ist mir doch lieber«, sagte sie.
23
    Das Brot war alle. Die Torte hatte sie in den Mülleimer geworfen, der Appetit darauf war ihr vergangen. Sie beschloß, nicht mit dem Auto nach Waunfawr zu fahren; statt dessen wollte sie versuchen, einer dieser grünen gestrichelten Linien zu folgen, die Zeichen auf der flachen Karte in richtige Wege, Hügel, Häuser, Wiesen zu übersetzen. Sie zog ihre Wanderschuhe an, hängte einen Rucksack um und schloß die Haustür ab. Vor dem Haus verließ sie der Mut, als sie den Bindfaden sah und die Reihe von Bambusstöcken, zwischen denen er gespannt war. Für den neuen Weg würde sie etliche Schubkarrenladungen von dem Schiefersplitt brauchen. Sie bog um die Hausecke und ging auf dem Zufahrtsweg an der Gänseweide vorüber. Fünf standen am Zaun. Sie tat, als würde sie die Tiere gar nicht wahrnehmen. Die neugierigen Köpfe, das leise Schnattern, das erwartungsvolle Auf-der-Stelle-Treten. Fünf.
    Mit der Karte in der Hand ging sie durch das freigelegte kissing gate . Nach den grünen Linien zu urteilen, gab es noch einen anderen Weg als den über ihre Zufahrt. Im hohen Gras verlor sich jede Spur von ihm. Sie zog die Schultern hoch und überquerte die Wiese auf gut Glück, kam zu einem Zaun mit einem stile . Sie kletterte auf die andere Seite und wollte nach links abbiegen. Dort war das Haus ihrer Nachbarn, anscheinend mußte sie direkt daran vorbei. Soweit sie sehen konnte, stand eine Tür offen. Sie zögerte. Bevor sie umkehrte, warf sie noch einen langen Blick auf die Karte, als wäre sie nur ein Wanderer, der sich verlaufen hatte. Eilig kletterte sie über den Zauntritt zurück, durchquerte die Wiese mit dem hohen Gras und ging über ihre Zufahrt zu dem schmalen Weg. Nach ein paar hundert Metern konnte sie wieder einer gestrichelten Linie folgen, die in der wirklichen Welt durch den Wegweiser mit dem gehenden Männchen markiert war. Als sie nach einer scheinbar endlosen Wanderung die Bäckerei betrat, zeigte die Wanduhr Viertel vor eins.
    »Zu Fuß?« fragte der Bäcker.
    »Ja.« Sie war außer Atem.
    »Keine Entfernung, stimmt’s?«
    »Nein, geht schnell«, bestätigte sie.
    »Wir machen um ein Uhr zu. Nur daß du fürs nächste Mal Bescheid weißt. Awen!«
    Die Bäckersfrau kam aus der Backstube. » O, hello, love «, sagte sie. »Wie hat die Torte geschmeckt?«
    »Gut. Rhys Jones war auch sehr angetan.«
    »Rhys Jones«, sagte der Bäcker.
    »Der liebt unsere Torten«, sagte Awen. »Willst du dich hier niederlassen, love ?«
    »Wo wohnt er eigentlich?«
    »Am Fuß des Berges. Diese Richtung.« Der Bäcker zeigte auf die Wand. »Ende Oktober bringt er seine Schafe immer auf das Evans-Land.«
    »Habt ihr denn hier genug Kundschaft?« Ihr wurde warm, sie tat, als wolle sie sich etwas in der Vitrine ansehen, und machte einen Schritt zur Seite.
    »Seine Frau ist gestorben, ganz tragische Geschichte, und wenn sie noch leben würde, hätte sie ihn nie soviel Torte essen lassen«, sagte die Bäckersfrau.
    »Geht so.« Der Bäcker schaute seine Frau an. »Solange die Leute ihr Brot nicht bei Tesco

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