Der Umweg
über dem Bach lag. Er zog an einem Ast, seine andere Hand umklammerte schon den Griff der Säge. Vorher hatte er die Tür des Schweinestalls wieder eingehängt, der Sturm hatte sie aus den Angeln gehoben. Sie beobachtete ihn, den Bauch an den Herd gepreßt. Sie hielt den Becher, aus dem sie vor ein paar Stunden Tee getrunken hatte, unter den Wasserhahn und goß die drei Pflanzen auf der Fensterbank. Sam rannte über den Rasen, einen Ast in der Schnauze. Die hellbraunen Kühe schauten über die Gartenmauer, neugierig und schreckhaft zugleich. Mit der flachen Hand fegte sie Brotkrümel von der Arbeitsplatte und schnupperte kurz. War es nun die Küche, die nach der alten Frau roch, oder war der Geruch doch in ihr selbst? Im Kaffeetopf begann es leise zu brodeln.
»Ich glaube, wir kriegen Schnee«, sagte der Junge, als er hereinkam. »Es ist kalt geworden.«
»Hm«, sagte sie, drehte sich aber nicht um.
»Dann fahren wir zum Berg.«
»Mußt du dich nicht wieder um deinen Wanderweg kümmern?«
Einen Moment war es hinter ihr still. »Doch.«
»Aber nicht jetzt?«
»Nicht jetzt.«
Sie seufzte.
»Jetzt hab ich andere Dinge im Kopf.«
»Zum Beispiel?«
»Die Rosenbeete. Einen Weihnachtsbaum.«
Sie wandte sich halb um, ohne sich vom Herd zu lösen. »Einen Weihnachtsbaum?«
»Ja, bald ist Weihnachten.« Er stand neben dem Tisch, die Mütze in der Hand. Das schwarze Haar klebte ihm in der Stirn, auf dem Jackenkragen lagen Rindenschnipsel von der Eiche. Heute waren die L-und-R-Socken rotblau.
»Muß ich irgendwelche Sachen von dir waschen?« fragte sie.
»Du mußt nicht«, antwortete er, »aber ein bißchen schmutzige Wäsche hab ich schon.«
»Dann wasche ich gleich, wenn du gräbst.«
Er schaute sie an, sagte aber nichts.
»Und jetzt möchtest du sicher Kaffee?«
»Ja, gern.« Endlich setzte er sich.
»Wo ist der Hund?«
»Der rennt am Zaun bei den Gänsen auf und ab. Schon eine ganze Weile.«
»Warum?«
»Keine Ahnung.«
»Verstehst du was von Gänsen?«
»Nein.«
Sie füllte einen Becher mit Kaffee und stellte ihn vor Bradwen auf den Tisch. »Kuchen?«
»Ja, bitte. Nimmst du keinen?«
»Nein.«
»Wieso nicht?«
»Bradwen«, sagte sie. »Hör auf.«
»Gut«, antwortete er. »Aber du hast nicht ›ach‹ gesagt.«
Sie lächelte und legte eine Packung Kuchen neben den Kaffeebecher. Dann ging sie zum Büfett und schaltete das Radio ein.
»Ja«, sagte der Junge, gerade noch laut genug. »So geht’s natürlich auch.«
Sie stand an der Haustür, wollte ihn fragen, was sie waschen sollte, aber der Anblick seines leicht gebeugten Rückens hielt sie davon ab. Er grub, sie würde waschen. Mit der linken Hand am Geländer zog sie sich die Treppe hinauf. Zuerst ging sie ins Badezimmer, um ein Paracetamol einzunehmen, dann über den Flur ins Arbeitszimmer. Schon ein paar Tage war sie hier nicht mehr gewesen. Es war kühl in dem Raum, das Fenster über dem Eichentisch stand einen Spalt offen. Der Gedichtband lag noch genauso da wie beim letzten Mal, ihre Notiz wirkte etwas zittrig. Sie legte drei Finger auf das Papier und schaute in den Garten hinunter. Der Junge arbeitete sorgfältig, einen großen Teil des ersten markierten Rechtecks hatte er schon umgegraben, Reihe für Reihe. Jetzt steckte der Spaten in der Erde, Bradwen stand an der Tür des alten Schweinestalls und blickte durch die offene Luke in den Keller. Von seinen Schultern stieg Dampf auf, seine Jacke lag auf der Gartenmauer. Was sah er da? Be its mattress straight . Seit Bradwen hier war, hatte sie kaum noch an Dickinson gedacht. Sie stellte sich vor den Kamin. Auf dem Sims stand ein braunes Rechteck mit vier Metallklammern, irgend etwas an dem Porträt hatte dem Jungen offenbar nicht gefallen. Sie drehte es um.
Vom Kaminsims ging sie zur Chaiselongue, um die Decke geradezuziehen. Dahinter lag ein Kleiderhaufen: eine Hose, L-und-R-Socken, ein T-Shirt, ein paar Unterhosen. An der Wand lehnte der Rucksack. Sie zögerte einen Moment, raffte die Sachen dann eilig zusammen und blickte vor dem Verlassen des Zimmers durch das kleine Fenster an der Rückseite. Der Hund lief immer noch bei den Gänsen hin und her, die Nase dicht über dem Boden; die Gänse selbst standen zusammengedrängt am Häuschen. Der Himmel war gelbgrau.
In der Küche hockte sie sich vor die Waschmaschine und warf seine Sachen einzeln hinein. Der Altweibergeruch, ob er nun in der Küche hing, aus der Waschmaschine oder sonstwoher kam, wurde vom säuerlichen Geruch der
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