Der Umweg
es Spaghetti, mit einer Soße, die auf jeden Fall sehr viel Knoblauch enthielt. »Das ist gesund«, meinte er. »Du mußt möglichst viel Knoblauch essen.« Am Nachmittag war kräftiger Wind aufgekommen, er nahm noch zu, das Radio hatte eine Sturmwarnung gebracht. Ein Ast des Kletterstrauchs schlug ans Küchenfenster. »Der Ast von der Chinese Wisteria muß ab«, sagte er. Sie versuchte sich gut zu fühlen. Es war jemand hier, der Entscheidungen traf, der sagte, was zu tun war, der sie – wenn nötig – festhielt. Noch bevor er die Teller füllte, fragte er nach der Rosenschere und ging dann mit einem Küchenstuhl nach draußen. Im Licht der beiden Kerzen auf der Fensterbank konnte sie undeutlich seine Beine erkennen. Der Hund war in der Küche geblieben, stand aber mit aufgerichteten Ohren vor dem Herd und blickte zum Fenster hinauf. Chinese Wisteria , dachte sie, das hilft mir auch nicht viel weiter. Vom Wohnzimmer her hörte sie es im Kamin pfeifen, der Holzofen bullerte. Eine Flasche Rotwein stand entkorkt auf dem Küchentisch.
»Du mußt gehen«, sagte sie, als er hereinkam.
Sein Haar war zu einer Seite geweht, in der Hand hielt er einen Ast der Wisteria.
»Zum nächsten Bed and Breakfast. Und dann zum übernächsten, einen Tagesmarsch weiter.«
»Von wegen«, sagte er. »Ich fülle dir jetzt Spaghetti auf und gieße dir ein Glas Wein ein.«
»Morgen«, sagte sie.
»Nein«, erwiderte der Junge.
»Dann füll auf. Und gieß ein.«
Bradwen legte den Ast auf den Boden und goß beide Gläser voll. Beim Essen lächelte er. Sagte nichts, lächelte nur die ganze Zeit, trank Wein, füllte Spaghetti nach, strich endlich mit der Hand durchs Haar, pfiff leise nach dem Hund, rieb sich ein Auge, leckte sein Messer ab.
»Du nimmst mich nicht ernst, oder?« fragte sie.
»Nein.«
Sie seufzte. Versuchte sich gut zu fühlen, was nach anderthalb Gläsern Wein deutlich einfacher war.
»Ich bleibe«, sagte er.
»Mal sehen.«
»Der Garten ist noch längst nicht soweit, und ich nehme doch an, du willst ihn bis zu einem bestimmten Datum fertig haben?«
»Warum fragst du?«
»Hab so ein Gefühl.«
»Ich hab auch manchmal so Gefühle.«
»So?«
»Und die machen mich ziemlich müde. Gieß lieber noch etwas Wein nach.«
Mittlerweile tobte der Wind ums Haus, der Bambus, den sie doch zurückgeschnitten hatte, scheuerte über die Außenwand der Küche, hin und wieder wurde etwas ans Fenster geweht. Der Hund war unruhig, er schlief zwar, zuckte aber mit den Pfoten und jaulte.
Bradwen schenkte nach. »Er träumt«, sagte er.
»Was hältst du übrigens von Dickinson?« fragte sie.
»Nichts.«
»Nichts?«
»Ich hab noch nicht drin gelesen. Von Gedichten versteh ich nichts.«
»Ein weiterer Grund zu gehen.«
Er lächelte wieder, oder immer noch. »Kaffee?«
»Hast du ein Handy?« fragte sie.
»Ja.«
»Benutzt du das auch manchmal? Ich hab es noch nie gesehen.«
»Nein. Ich kenne niemanden.«
»Das ist doch Blödsinn.«
Der Hund wurde wach und bellte einmal, als hätte er sie verstanden. Er stand auf und lief ein paar Schritte, blieb dann im Durchgang zum Wohnzimmer hechelnd stehen.
»An deiner Stelle wäre ich vorsichtig«, sagte der Junge. »Sonst springt er dich noch an.«
»Hast du einen Vater und eine Mutter?«
Er zögerte kurz. »Natürlich.«
»Die kennst du zum Beispiel. Mußt du sie nicht ab und zu anrufen und sagen, wo du bist, wie es dir geht?«
»Ich bin jetzt hier.«
Sie fühlte einen heftigen Drang, nach ihren Brüsten zu greifen, um auf diese Weise etwas auszudrücken. Fast hätte sie es wirklich getan, aber ihre Hände blieben auf halbem Weg in der Luft hängen, mit der einen stieß sie ihr Glas um. Sie begann zu weinen. Der Junge tat nichts, blieb einfach sitzen. Sie stand auf und ging zur Treppe; als sie an Sam vorbeikam, leckte er ihren Handrücken. Sie ließ die Badewanne vollaufen, quetschte einen ordentlichen Schuß Badelotion ins Wasser, Native Herbs . Die Tür, außer der Vordertür die einzige abschließbare im ganzen Haus, ließ sie unverschlossen. Sie zog sich aus und stieg ins Wasser. Eigentlich fühlte sie sich hier doch am wohlsten, in heißem Wasser, sie spürte sehr deutlich ihren Körper, der jetzt unversehrt und heil erschien, besonders, weil draußen ein Unwetter wütete. Die Gänge in Dickson’s Garden Centre, Reihen von Rosensträuchern, Bienen im späten Frühjahr. Komm ruhig, dachte sie.
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Die Scheibe klirrte. Wenn sie glaubte, die letzte Bö wäre nun bestimmt die
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