Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Umweg

Der Umweg

Titel: Der Umweg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerbrand Bakker
Vom Netzwerk:
kurz.«
    »Danke.«
    »Shirley ist eine sehr versierte Friseurin. Nicht nur das, sie ist die letzte Friseurin hier.«
    Sie schaute ihn an.
    »Jetzt ist es also doch nötig?«
    »Was?«
    »Mich zu besuchen.«
    »Ja.«
    »Was kann ich für dich tun?«
    »Schmerzmittel.«
    »Die kannst du in der Apotheke kaufen, dafür brauchst du mich nicht.«
    »Ich rede nicht von Aspirin oder Paracetamol.« Die zweite Bezeichnung klang in der englischen Aussprache merkwürdig, sie war sich nicht sicher, ob sie so richtig war.
    »Wovon denn?«
    »Das müssen Sie sagen, ich verstehe nichts davon.«
    »Setz dich erst mal dort hin. Ich möchte mir deinen Fuß ansehen.«
    »Am Fuß hab ich keine Beschwerden. Nicht mehr.«
    »Na komm.«
    Ich sollte nicht solche Schwierigkeiten machen, dachte sie. Schaden konnte es ja nicht. Sie setzte sich auf den Behandlungstisch und zog den nassen Schuh und die Socke aus. Die Haut war schrumpelig. Ich könnte mich auch hinlegen, dachte sie. Einfach hinlegen und mich dem überlassen, was kommt.
    Der Arzt griff nach ihrem Fuß. »Schön abgeheilt. Noch lange Schmerzen gehabt?«
    »Nein. Soda wirkt Wunder. Sie hatten völlig recht.« Sie starrte über seine Schulter auf die Wand. Erst jetzt sah sie – vielleicht, weil das Licht anders hereinfiel oder weil sie eigentlich gar nicht richtig hinschaute –, daß auf dem HIV -Poster der Torso eines dunkelhäutigen Mannes abgebildet war. Nicht frontal, sondern von der Seite, unscharf, mit einem knackigen Hintern. Jetzt verstand sie auch das Exit only am unteren Rand. Das Poster mußte ziemlich alt sein, sie fragte sich, warum der Mann so etwas in seinem Sprechzimmer aufgehängt hatte. Ein Bild, das nicht viele Patienten in diesem Städtchen ansprechen dürfte, vermutete sie.
    Der Arzt nahm ihre Hand, fühlte mit zwei Fingern den Puls. »Hm«, machte er. Er faßte mit beiden Händen ihren Kopf, zog mit den Daumen die Haut über den Lidern nach oben und schaute ihr aufmerksam in die Augen. Anschließend strich er mit einer Hand über ihren Arm, während die andere auf ihrem Knie ruhte. Wenn ich nicht selbst rauchen würde, dachte sie, würde ich riechen, daß er unbeschreiblich aus dem Mund stinkt. »Kopfschmerzen?« fragte er.
    »Ja.«
    »Ist das alles?«
    »Nein.«
    »Welche anderen Beschwerden?« Die Glocke im Wartezimmer läutete. Er drehte kurz den Kopf zur Tür und nutzte die Gelegenheit, zu husten, ohne die Hand vor den Mund zu halten.
    Sie rutschte vom Behandlungstisch, einen Moment stand sie so dicht vor ihm, daß sie ihn berührte, dann trat er einen Schritt zurück. Auf dem Adamsapfel in seinem Vogelhals waren ein paar Bartstoppeln stehengeblieben. Für jemanden, der ihr die Hand aufs Knie legte, fast wie Sam seinen Kopf, wich er ihr erstaunlich schnell aus. Sie setzte sich auf den Stuhl und zündete sich eine Zigarette an. Zum ersten Mal hatte sie das Gefühl, diesem Mann gewachsen zu sein.
    Auch der Arzt nahm Platz. Offenbar brauchte er selbst wieder Nikotin, sie rauchten zusammen. »Es ist dir doch klar, daß ich nicht ohne weiteres starke Schmerzmittel verschreiben kann?!« sagte er.
    »Ich wüßte keinen Grund, warum das nicht gehen sollte.«
    »Es gibt so etwas wie einen ärztlichen Verhaltenskodex.«
    »Der hat Sie aber neulich beim Friseur nicht weiter gestört.«
    »Aha. Du meinst, ich hätte mit Shirley nicht über Patienten sprechen dürfen? Das ist nicht das gleiche, wie ohne Grund Medikamente zu verschreiben.«
    »Ohne Grund? Wer sagt das?« Sie blies ihm Rauch ins Gesicht.
    Der Arzt revanchierte sich mit eigenem Rauch. »Dann noch einmal: Um welche Beschwerden geht es?«
    »Ich bin krank.«
    »Wie, krank?«
    »Das weiß ich nicht.«
    »Bist du denn nicht in Behandlung? In den Niederlanden?«
    »Doch, sicher.«
    »Warum willst du dann nicht sagen, was du hast?«
    »Das braucht Sie nicht zu kümmern.«
    »Ich bin Hausarzt. Ich habe Regeln einzuhalten, und ich habe ein Gewissen.«
    »Ich bin eine Zufallspatientin. Vielleicht reise ich morgen wieder ab. Das mit dem Dachs war nur ein belangloser Unfall. Ich bin Touristin.«
    »Wo sitzt der Schmerz?«
    »Überall. Manchmal ist es, als hätte ich im ganzen Körper Zahnschmerzen.«
    »Zahnschmerzen?«
    »Wenn man wegen Schmerzen zum Zahnarzt geht und glaubt, man weiß, welcher Zahn weh tut, behandelt der Zahnarzt vielleicht doch einen ganz anderen, und man wundert sich, aber einen Tag später ist der Schmerz weg.«
    »Hm.«
    »Und ich rieche irgendwelche Dinge.«
    »Das scheint mir etwas ganz

Weitere Kostenlose Bücher