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Der unbeugsame Papagei

Der unbeugsame Papagei

Titel: Der unbeugsame Papagei Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrej Kurkow
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Herunter, das ja, er löst sich und padauz! Das ist vielleicht auch aus Kummer. Aber sonst – nein. Jeder ist an seinem Platz, und aus solcher Beständigkeit entsteht auch Liebe, aber wie sieht es denn bei uns hier aus?“
    Streng blickte Sachar auf den einhändigen Pjotr.
    Die Worte des Räuchermeisters über die Sterne lenkten die Gedanken des Engels sogleich ab. Er begann schon über etwas anderes nachzusinnen, über Beständigkeit und Treue, denen er in allen auf dieser Erde verbrachten Jahren nicht begegnet war. Obwohl hier und da ein Mal Treue, ein ander Mal Anhänglichkeit entstanden war, und vielleicht auch Liebe, aber das alles kam ihm irgendwie unbeständig vor.
    ‚Und der bucklige Buchhalter?‘, widersprach der Engel sich plötzlich selbst in Gedanken.
    Aber darauf widersprach er sich auch gleich wieder selbst, denn er sah den Buchhalter fast immerzu mit seinem Sohn, dem Buckelchen Wasja, an das Gesicht seiner Frau aber konnte er sich nicht erinnern. Und er konnte sich gleichfalls nicht erinnern, wann er sie das letzte Mal alle zu dritt gesehen hatte.
    Pjotr hob auf einmal den Kopf, reckte die Nase und schnupperte.
    Auch Sachar wurde aufmerksam, löste sich von den Sternen, die sich in seinen Gedanken festgesetzt hatten, und stand auf.
    „Es ist anscheinend fertig“, sagte er, schob seinen Hocker zurück und verließ den Tisch.
    Pjotr stand gleichfalls auf und lief hinter Sachar hinaus.
    Der Engel war allein an dem Tisch zurückgeblieben. Irgendwo in der Nähe, hinter der Wand, hörte man unterdrückte Laute von Arbeiten und Reden.
    Auf dem Tisch brannte die Kerze. Ihr Wachs war schmutzig-gelb. Es schmolz nicht gut, deshalb war auch das Licht nur schwach.
    Der Engel kratzte mit dem Finger ein wenig Wachs um den Docht herum fort, und die kleine Flamme leuchtete gleich heller und fröhlicher.

Kapitel 30
    Der Zug näherte sich Moskau. Hinter ihm lagen Hunderte von Kilometern und zwei Dutzend Auftritte zu Ehren des Großen Sieges. Hinter ihm lag der Krieg.
    Die Dampflok, die lediglich drei Waggons hinter sich herzog, schnaufte. Noch war die Einfahrt aus dem Hinterland nach Moskau ohne Sondergenehmigung verboten, und vielleicht befanden sich deshalb in einem der drei Waggons nur zwei Passagiere: Mark Iwanow und Parlachow. Es reiste in diesem Waggon, einem Anfang der dreißiger Jahre gebauten Abteilwagen, natürlich auch der Papagei. Alles war gut, nur gab es keinen Schaffner, und heißes Wasser mussten sie sich aus dem Nachbarwagen holen, in dem drei Soldaten einen Leichnam nach Moskau überführten.
    Nachdem Mark ein weiteres Mal mit einem vollen Teekessel heißen Wassers aus dem Nachbarwagen zurückge-kehrt war, setzte er sich auf seine Pritsche und seufzte versonnen.
    „Ich war auch irgendwann einmal verliebt …“, gestand er Parlachow und setzte damit ihr vor drei Tagen begonnenes Gespräch fort. „Vielleicht bin ich immer noch verliebt … Sie ist so schön. Sie hat Essen ausgegeben, in der Kantine der Moskauer Wasserwerke. Ich muss dort hingehen, wenn wir da sind …“
    „Du bist ein glücklicher Mensch, Mark!“, sagte Parlachow. „Vielleicht heiratest du sie ja noch … Ich hingegen werde wahrscheinlich nie heiraten …“
    „Warum?“
    „Ich habe mich schriftlich verpflichtet, als ich die Arbeit im ZK begann. Natürlich kann ich eine Eingabe machen, damit man es mir erlaubt, aber irgendwie wäre das unpassend … Es gibt jetzt bald so viel Arbeit im Land, und da stelle ich meine Privatangelegenheiten, werden sie sagen, über die staat­lichen … ich weiß nicht …“
    Auf dem Bahnhof überprüfte der Kommandant die Papiere der Eingetroffenen und entließ sie in die Stadt. Das hatten sie Instrukteur Urluchow aus dem ZK zu verdanken, er hatte alles rechtzeitig organisiert. Bevor sie sich voneinander verabschiedeten, tauschten Mark und Parlachow ihre Telefonnummern aus. Parlachow versprach, bald anzurufen und Mark und Kusma zu sich einzuladen, schließlich hatten sie doch den ganzen Krieg gemeinsam durchgestanden.
    Vom Bahnhof aus ging Mark zu Fuß weiter. Er sah, wie ein Wagen Parlachow mitnahm, aber er war nicht gekränkt, er wohnte ja nicht weit. Ein halbes Stündchen zu Fuß, und er war zu Hause.
    Auf den Straßen, die voller Fußgänger waren, hörte man Deutsch sprechen. Mark blickte, wenn er ein fremdes Wort hörte, jedes Mal erschrocken um sich. Er öffnete mit dem Schlüssel die Tür zu seiner Wohnung und freute sich außerordentlich, als er alles heil und ganz, nur unter einer

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