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Der unbeugsame Papagei

Der unbeugsame Papagei

Titel: Der unbeugsame Papagei Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrej Kurkow
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überlegte, dass es nicht schlecht wäre, sich mit jemandem zu beraten. Der Tee war zu heiß, und Mark stellte die Tasse auf den Boden, trat an den Tisch und wählte am Telefon Parlachows Nummer. Zum Glück war Parlachow zu Hause.
    „Genosse Parlachow!“, sagte Mark aufgeregt. „Könnten Sie vielleicht zu mir kommen … es ist sehr wichtig …“
    „Ist etwas passiert?“, fragte Parlachow erschrocken.
    „Also … nun, beinahe …“
    Zwei Stunden später kam er, trat ein und sah sich um.
    „Was ist los?“, fragte er sofort.
    „Also, man hat mir Essen gebracht, und auf dem Paket ist eine Aufschrift … in russischen Buchstaben, aber nicht Russisch.“ Mark hielt seinem ehemaligen Hüter das Paket hin.
    Der überflog die Aufschrift aufmerksam, überlegte einen Augenblick und lächelte.
    „Da hat wahrscheinlich ein Kind Unfug getrieben“, sagte Parlachow. „Kinder, weißt du, denken sich gern Wörter aus, besonders, wenn sie schreiben lernen. Siehst du, wie ungleichmäßig die Buchstaben sind, und auch noch mit Bleistift …“
    „Meinen Sie wirklich?“, fragte Mark mit einer gewissen Unsicherheit zurück.
    „Na, wenn du willst, dann nehme ich es und zeige es den richtigen Leuten!“, schlug Parlachow vor.
    „Ja, das ist besser … für alle Fälle!“ Mark war über das Angebot froh. „Damit man es ganz sicher weiß … sonst …“
    „Schon gut, ist ja gut“, beruhigte Parlachow den Künstler. „Füll die Hirse irgendwohin um.“
    Als Parlachow gegangen war, seufzte Mark erleichtert und trat an das offene Fenster. Auf der Straße wurde es bereits Abend. Auf den Dächern krächzten Krähen.
    Die Luft war frisch und angenehm feucht.
    Mark fütterte den Papagei und sann über die Zukunft nach.

Kapitel 31
    An den Abenden ließ die Hitze in Sarsk nach, und viele seiner Bewohner kamen heraus und gingen am Ufer der Oka spazieren. Die Kinder und die jungen Leute badeten, indem sie mit Anlauf in den Fluss hüpften. Die Menschen der älteren Generation spazierten ohne Hast dahin und erholten sich von der Hitze des Tages.
    Dobrynin und Waplachow gingen gleichfalls abends gern am Ufer spazieren. Nachdem sie das Leben in der Stadt studiert hatten, hatten sie sich das Beste angeeignet und sich dem Rhythmus dieses Lebens angepasst. Wenn sie tagsüber auf die Straße hinaus mussten, zogen sie Papierschiffchen den Kopf, die Schüler der Sarsker Mittelschule eigenhändig zusammengeklebt hatten. Diese Schiffchen hatte ihnen gemeinsam mit ihrer Spezialkleidung der Direktor der Fabrik für Aufblasgummi überreicht, in der sie nun in der Erfüllung ihres Auftrags für die Heimat und den Kreml tätig waren. Ihre Tätigkeit war nicht kompliziert, jedoch sehr verantwortungsvoll. Die Fabrik brachte außer Kinderspielzeug viele aufblasbare Erzeugnisse für den Bedarf der Propagandaabteilungen hervor. Besondere Bedeutung allerdings besaß die Produktion für die Paraden und Demonstrationen der Pioniere und Oktoberkinder, und eben gerade zur Qualitätskontrolle dieser Produkte hatte der Direktor der Fabrik, Genosse Fomitschew, den Volkskontrolleur Dobrynin und seinen Gehilfen Waplachow bestimmt. Am Tag, der auf ihre Ankunft folgte, hatte der Direktor persönlich ihnen die ganze Fabrik gezeigt und ihnen die Schlüssel zum Raum der Volkskontrolle überreicht, den man kürzlich an das Werk angebaut hatte. Er erklärte ihnen ihre neuen Pflichten und führte sie danach persönlich in die Kantine der Fabrik.
    Sie wurden im Wohnheim einquartiert, in einem Zimmer im zweiten Stock mit Blick auf die Oka. Dort erhielten sie von der dicken Hausleiterin auch einen neuen metallenen Teekessel, zwei Tassen und einmal Essbesteck für zwei, falls sie sich in der Küche ihres Wohnheims ihr Essen selbständig zubereiten wollten.
    Das Leben in Sarsk begann für Dobrynin und Waplachow geschäftig, und so ging es auch weiter. Aber dieses Leben war leichter und angenehmer als jenes im Krieg. Jeden Tag veränderte sich etwas zum Besseren. Der Sonntag wurde wieder zum freien Tag. In der Fabrik nahm das Gewerkschaftskomitee seine Arbeit wieder auf, und umgehend zeigten sich die Resultate seiner Tätigkeit: die Portionen in der Kantine wurden größer.
    Langsam floss der Fluss Oka an dem Städtchen vorbei. Jeden Tag schien verlässlich die Sonne, und nachts wanderte, kokett seine Form ändernd, der Mond über den Himmel. Die Natur lebte ihr gewöhnliches Leben, nur die Menschen vereinten ihre Kräfte und ließen das vom Krieg zerstörte Land

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