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Der unbeugsame Papagei

Der unbeugsame Papagei

Titel: Der unbeugsame Papagei Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrej Kurkow
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Paradies marschierte.“
    Irgendwo hatte Dobrynin diesen Namen gehört, aber wo?
    „Ein guter Kommunist, aber ein sehr schlechter Mensch …“, erklang in den Tiefen von Dobrynins Gedächtnis eine vertraute Stimme.

    Unterdessen saß Dmitrij Waplachow vor der Kerze, die in ihrem gelben Wachs zerfloss, blickte in die Flamme und murmelte in seinem heimatlichen Urku-Jemzisch:

    „Bar kann tar
    Ujkymun jussut,
    Sarbyn tag
    Us impan atyn …“

    Plötzlich schlug etwas an das Fenster, und die Scheibe klirrte so laut, dass der erschrockene Waplachow die Kerze ausblies und sich mit angehaltenem Atem auf den Boden kauerte.
    Kalter Schweiß trat ihm auf die Stirn. Er erinnerte sich daran, wie Dobrynin ihn, als sie aus Moskau abgeflogen waren, im Flugzeug gebeten hatte, nie mehr, nicht einmal mit sich selbst, in seiner Sprache zu sprechen, damit niemals mehr jemand daran zweifelte, dass er, Dmitrij, ein Russe sei. Wie hatte er diese Warnung nur vergessen können? Reichte es denn nicht, dass sein in einer einzigen Kremlnacht weiß gewordenes Haar ihn um dreißig Jahre hatte altern lassen?
    Nein, dachte Waplachow, ich habe gar nichts vergessen … Diese nächtliche Stille, der Sieg und die Gedanken an Tanja Seliwanowa, nur das hat mich zu dem furchtbaren Fehler verleitet.
    Er lauschte wieder, aber es war still.
    Nachdem er geduckt durch den Flur zur Tür geschlichen war, legte Dmitrij sein Ohr an das Holz, hörte aber nichts. Leise, ihn mit den Fingern festhaltend, nahm er den Türhaken ab und stieß die Tür leicht mit der rechten Schulter auf.
    Die Tür öffnete sich einen Spalt breit.
    Auf der Straße sah Waplachow mit den an die Dunkelheit schon gewöhnten Augen niemanden. Nur etwas Kleines lag unter dem Fenster. Offenbar ein Gegenstand, den jemand geworfen hatte. Aber weshalb? Um ihn zu erschrecken? Oder um an die Verdunkelung zu erinnern, die Dobrynin und er praktisch niemals einhielten.
    Waplachow nahm den Gegenstand in die Hand. Es war ein toter Vogel.
    Dmitrij seufzte erleichtert und stand auf, wobei er den Vogel noch immer in den Händen hielt. Er sah sich rings um, dann ging er fort vom Haus, zu einer Pappel, die einsam auf der anderen Seite der Straße wuchs. Er legte den kalten, weichen Klumpen auf die Erde.
    Hier fiel ihm ein, dass man über jedem gestorbenen Wesen eine Julussa sprechen musste, zum Geleit auf den Weg, sonst gab die Seele des gestorbenen Vogels oder wilden Tieres seinen Körper der Natur nicht zurück, und der tote Körper verwandelte sich in einen Stein, der Gras oder Baum den Weg zur Sonne versperrte.
    Und Dmitrij flüsterte die Julussa, wobei er sie aus dem Stegreif ins Russische übersetzte und deshalb hin und wieder steckenblieb – es gab nicht genug Worte in der russischen Sprache, damit die Julussa ebenso erhaben und erfüllt hätte klingen können, wie sie auf Urku-Jemzisch klang:
    „Flieg hinaus, geh hinaus, werde ein kleiner Wind und lass die schon nicht mehr nötigen Flügel sinken. Nimm die Erinnerung an die Erde und den Himmel mit dir. Flieg auf, dorthin, wo Ekwa-Pyris die blauen Vögel mit Himmelsweizen füttert. Verbeuge dich vor ihm mit den obersten Wolken und sag, dass es unten schon Nacht ist und die Bärenkinder in der Höhle schlafen, dass Moos und Gras unter dem Schnee schlafen und nichts davon wissen, dass der Klang, der den Himmel erheiterte, keinen Körper mehr besitzt.“
    Als Dobrynin auch jetzt noch nicht zurückgekehrt war, legte Waplachow sich schlafen.
    Dobrynin erschien erst gegen Morgen. Derselbe Gasik-Jeep brachte ihn, nur saß jetzt wieder der etwas ausgeschlafenere Schütze Soldatkin am Steuer.
    Dobrynin war bleich und finster. Er legte das kleine Büchlein mit den Gedichten des Dichters Bemjan Debnyj, das ihm Major Androssow auf seine eigene Bitte hin geschenkt hatte, auf den Tisch; er zog ein zweifach gefaltetes Papier aus der Hosentasche, faltete es auf, glättete es mit dem Handrücken, und nachdem er es vor sich hingelegt hatte, vertiefte er sich in seine dürftigen, kalten Zeilen.
    Waplachow, den diese laute Rückkehr geweckt hatte, trat zu ihm und blickte seinem Chef über die Schulter.
    Ein Sonnenstrahl kroch in dieser Sekunde über das Papier.
    Dmitrij las: „Funkmeldung. Stadt NX 872, Dienststelle ASG 117/43 für Vo.kontr. P.A. Dobrynin. Keine Notwendigkeit nach Moskau zu kommen, befehle Dobrynin und Waplachow bis 13. Mai d.J. sich in die Stadt N UK 4236 zum Objekt FNP -115 zu verlagern zur nachfolgenden Kontrolle der Produktion. Gratuliere zum

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