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Der unbeugsame Papagei

Der unbeugsame Papagei

Titel: Der unbeugsame Papagei Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrej Kurkow
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Sieg. Kreml, Bevollmächtigter für Angelegenheiten der Vo.kontrolleure Swinjagin.“
    „Was ist das denn für eine Stadt?“, fragte Waplachow.
    „Sarsk“, sagte Dobrynin und seufzte tief. „Fünfhundert Kilometer von hier.“
    Dem Volkskontrolleur wurde das Herz schwer. Nicht allein deshalb, weil er nun trotz des Sieges nicht nach Moskau fahren würde. Am meisten kränkte ihn der trockene, amtliche Stil der Funkmeldung – noch nie hatte er sich derart ohnmächtig und erniedrigt gefühlt. Wo kam nur dieser Swinjagin her? Warum war er es, der antwortete, während doch Dobrynin seine Funkmeldung an Twerin geschickt hatte?
    Dobrynin saß an dem Tisch am Fenster, saß da und litt mit zusammengebissenen Zähnen, ohne auf das Lächeln der draußen vorbeilaufenden Mädchen zu achten. Sie eilten zur Morgenkundgebung, die dem Sieg gewidmet war.
    Waplachow wandte sich von ihm ab und setzte sich auf sein Bett. Er fühlte natürlich mit Dobrynin, aber zugleich war er auch froh: nach Moskau wollte er nicht, und er durfte und konnte auch gar nicht hinfahren; nun hingegen würden sie wieder gemeinsam für das Wohl der Heimat arbeiten. Das Einzige, was ihn schmerzte, war die bevorstehende Abreise. Und gar nicht die Abreise selbst, sondern, dass Tanja Seliwanowa hier bleiben würde und er fortfuhr. Die Trennung schmerzte ihn; da beschloss Waplachow loszugehen und Tanja zu suchen. Und etwas zu ihr zu sagen. Er wusste nicht, was er ihr sagen musste. Er sprach niemals so mit Mädchen. Mit den alten Frauen im Norden sprach er und wusste auch wie, aber einfach so mit russischen Mädchen …
    Waplachow erhob sich, und das Drahtgeflecht seines Bettes quietschte. Dobrynin drehte sich um.
    „Ich gehe zu der Kundgebung“, sagte der Urku-Jemze.
    „Geh nur“, nickte Dobrynin. „Nimm Abschied von den Leuten … Heute Abend fahren wir.“
    „Heute abend? Aber in der Funkmeldung heißt es: bis dreizehnten Mai.“
    „Es gibt keinen direkten Weg. Die Soldaten bringen uns bis Salzgrube. Von dort sind es noch drei Tage Weges.“
    Waplachow verzog das Gesicht. Jetzt wurde auch ihm traurig zumute. Er stürzte in den Flur und eilte hinaus.
    Die Kundgebung hatte bereits begonnen, und irgendwo aus der Ferne klangen durch den Lautsprecher verzerrte Worte des Glückes und der Freude herüber.

Kapitel 29
    Der ungewohnte, trockene Sommer ging weiter, doch die Felder um das Neue Gelobte Land wurden nicht gelb sondern blieben grün, was zu Anfang viele verwunderte. Denn selbst das Flüsschen war unter dieser Trockenheit zum Rinnsal geworden. Aber dann, als weder Archipka-Stepan, noch der bucklige Buchhalter den Siedlern den Grund dieser Erscheinung erklären konnten, da sprach Katja ihre Gedanken aus. Sie sagte einfach und verständlich, dass das ganze Wasser, das auf die Erde falle, in unterschiedliche Tiefen sickere und dass die Natur sich auf diese Weise einen Vorrat schaffe, natürlich ohne zu wissen, dass dieser Vorrat in Wahrheit dem Leben der Menschen diene. Und wenn nun die Trockenheit komme, dann stoße die Erde das angesammelte Wasser aus ihren Tiefen aus und hebe es an die Oberfläche, so ähnlich wie wenn ein Mensch, der einen Vogel auf der Erde findet, ihn aufhebe und auf der Handfläche zum Himmel erhebe. Dieses Wasser dringe zurück durch die Erde, nur nicht so, wie nach einem Regen, von oben nach unten, sondern umgekehrt – von unten nach oben, zu den Wurzeln. Und daher wachse und grüne ihre künftige Ernte ungeachtet der Trockenheit.
    Der Engel hörte diese Erklärung ebenfalls und dachte später lange darüber nach. Den inneren Aufbau der Erde kannte er nicht, er hatte sich immer vorgestellt, dass der Grund einförmig war und ganz aus der lebenspendenden Erde bestand, die allem Kraft gab, was seine Wurzeln in sie senkte. Er merkte aber, dass es ihm sehr leicht fiel, Katjas Erklärungen zu glauben. Und er erschrak selbst über diese Leichtigkeit, denn am Ende kam heraus, dass die Natur selbst für alles sorgte, ganz so als gäbe es über der Natur, über dem ganzen Weltenreich keinen Gott, denn der war gar nicht nötig.
    Nun saß der Engel am Abhang des Hügels und sah zu, wie der herab sinkende Sommerabend den Wald, das Haus des Räuchermeisters und den Fluss in graues Licht tauchte und matt werden ließ. Er saß da und dachte an die Erde.
    Plötzlich leuchtete in dem Häuschen am Fluss eine Kerze auf, und ihr Licht spiegelte sich im Fenster. Dem Engel war im selben Moment, als sei ihm kalt geworden, und er erschauerte.

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