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Der unbeugsame Papagei

Der unbeugsame Papagei

Titel: Der unbeugsame Papagei Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrej Kurkow
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sei, gegen ihren Vater zu kämpfen, um dem japanischen Volk das Licht und das Glück zu bringen. Sie hieß Naomi. Zur Antwort auf Dobrynins Blicke verbarg sie ihre Augen, aber nicht das schüchterne Lächeln auf ihrem lieblichen Gesicht.
    „Ich heiße Hiromi Josimura“, lenkte der Funker Petrow schließlich die Aufmerksamkeit des Kontrolleurs auf sich.
    Dobrynin nickte.
    Der Urku-Jemze setzte sich an den Ofen und rieb sich die vom Frost und von der Fesselung mit dem Seil blau gewordenen Handgelenke.
    Der Anführer des Aufstandes, den sie Takae nannten, verkündete allen etwas auf Japanisch, und ein Lächeln erhellte die Gesichter der Anwesenden.
    „Jetzt werden wir Sake auf die Zukunft Japans trinken“, übersetzte Hiromi-Petrow.
    „Was ist denn ‚Sake‘?“, erkundigte sich Dobrynin.
    „Das ist warmer Wodka“, erklärte der Funker.
    Dobrynin schauderte es.
    Da Hiromi das bemerkte, sagte er, Sake sei ein japanisches Nationalgetränk, und wenn Dobrynin es ablehne, dann könnten die japanischen Revolutionäre gekränkt sein.
    Dobryn seufzte schwer und nickte Hiromi zu. Gerade rechtzeitig war ihm die Erzählung eingefallen, wie Lenin einmal im Norden zu Gast gewesen war, jene Erzählung von der sehr scheußlich schmeckenden Nationalsuppe, die es zu schlucken galt. ‚Lenin konnte das also, und ich soll es nicht können?!‘, dachte Dobrynin erzürnt. Und er beschloss, so viel von dem warmen Sake zu trinken, wie man ihm geben würde.
    Die Japaner unterhielten sich friedlich über etwas, die junge Frau mit Namen Naomi schwieg, wobei sie hin und wieder schüchtern zu Dobrynin herübersah. Dem Volks­kontrolleur war von diesen Blicken und seinen Gedanken an sie bereits ganz heiß. Er zog schnell den Pelz aus und knöpfte die zwei oberen Knöpfe seines Hemdes auf, aber dann war ihm immer noch heiß, und um sich abzulenken, versuchte er an etwas anderes zu denken. Da fiel ihm ein, wie der Chef-Japaner den kleingewachsenen Übersetzer erschossen hatte. Dobrynin suchte Hiromi-Petrow mit dem Blick und fragte ihn, weshalb man den Übersetzer erschossen habe. Nachdem er einige Sätze mit Takae gewechselt hatte, wandte Hiromi sich an den Kontrolleur und erklärte, man habe den Übersetzer wegen seines unkorrekten Übersetzens erschossen. Er habe nämlich behauptet, Dobrynin hieße Pferd und sei in den Pferdeställen des Kremls ge-­boren. Dann fügte Hiromi noch hinzu, dass sie den Übersetzer schon lange im Verdacht gehabt hatten, nicht genau zu übersetzen.
    Dobrynin wurde nachdenklich. Eigentlich, erkannte er, hatten sie ihren Übersetzer umsonst erschossen, denn in seinem Hemd hatte ja wirklich der Pass des toten Pferdes gesteckt. Doch Dobrynin beschloss, ihnen nichts davon zu erzählen, um ihnen keinen Kummer zu bereiten und die allgemeine ruhige und fröhliche Stimmung nicht zu verderben, die auch ihn schon ergriffen hatte.
    Auf dem Ofen stand ein metallener Krug mit einem Deckel. Hiromi nahm ihn, reichte jedem eine Tasse und begann Sake auszuteilen.
    Als die Reihe an Dobrynin kam, straffte sich der Volkskontrolleur, wartete ab, bis Hiromi ihm einen halbe Tasse eingeschenkt hatte, und leerte das japanische Nationalgetränk auf einen Schluck. Zuckungen durchliefen seine Eingeweide, sofort geriet er noch mehr ins Schwitzen und kalte Schweißtropfen traten ihm auf die Stirn. Dobrynin schien es, als würden alle ihn ansehen, und innerlich rollte er sich wie ein verschreckter Igel zusammen.
    Aber niemand außer Naomi sah zu ihm her, und sie blickte ihn freundlich an, als würde sie mit ihm fühlen.
    Die Zeit verging. Es gab noch drei Trinksprüche auf die Zukunft Japans zu überstehen. Dann kam Hiromi zu ihm und ging neben dem Kontrolleur in die Hocke.
    „Wir fahren jetzt ab!“, sagte er.
    „Wohin? Womit?“, wunderte sich der bereits berauschte Kontrolleur.
    „Nach Hause, nach Japan. Mit dem Propellerschlitten bis zur Küste, und am Meer wartet ein Fischkutter auf uns … In einem Monat kommen wir wieder …“
    „Viel Erfolg!“, sagte Dobrynin, wobei er kaum die er­schöpfte Zunge bewegte.
    Und auf einmal durchschoss seinen berauschten, um­nebelten Verstand wie ein Pfeil ein alarmierender Gedanke: ‚Sie fahren ab, und ich bleibe! Allein, den Urku-Jemzen nicht gerechnet, in dieser wilden Gegend!‘
    Schlagartig wurde Dobrynin ein wenig nüchterner, er griff den Funker am Arm, zog ihn zu sich her und flüsterte: „Und wir, Genosse Petrow? Wohin gehen wir?“
    Der Funker legte dem Volkskontrolleur die Hand auf

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