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Der unbeugsame Papagei

Der unbeugsame Papagei

Titel: Der unbeugsame Papagei Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrej Kurkow
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Roten Platz kaum Menschen. Die Luft war morgendlich frisch, und überhaupt versprach der Tag gemäßigt warm und sonnig zu werden.
    Um halb neun näherte sich dem Schuldirektor ein Milizionär. Er interessierte sich dafür, was Banow auf dem Roten Platz machte.
    „Ich warte auf einen Genossen, er kommt um neun“, antwortete Banow.
    „Und was werden Sie anschließend tun?“, fragte der Milizionär beharrlich.
    „Anschließend gehen wir in den Kreml.“
    Der Milizionär nickte respektvoll, dann wies er mit der Hand auf die Richtstätte und erklärte: „Hier wurden Köpfe abgeschlagen!“, und mit einem bedauernden Kopfschütteln entfernte er sich zu seinem Posten, genau zwischen der Richtstätte und dem Tor.
    Um neun tauchte vom Tor her ein sehr sorgfältig gekleideter Mensch auf, und Banow erkannte zu seiner Verwunderung in diesem Menschen Karpowitsch.
    „Ich grüße dich!“ Karpowitsch winkte im Näherkommen. „Wartest du schon lange?“
    „Nein“, antwortete Banow. „Wieso bist du denn so angezogen?“
    Karpowitsch trug einen dunkelblauen Anzug, dessen Sakko ausgezeichnet saß, wie bei einem Mitglied des Politbüros, nur die Hosen hingen ein wenig herunter, man hatte sie offenbar für jemanden genäht, der anderthalb mal dicker war als Karpowitsch.
    „Ja weißt du, das wurde uns zur Verfügung gestellt … es ist doch immerhin der Kreml … Wenn ein Elektriker für eine Stunde herkommt, auf einen Mast klettert und eine Leitung repariert, dann stellt man auch ihm für diese Stunde einen Anzug zur Verfügung! Es sind hier doch viele Ausländer, die Mitglieder des Zentralkomitees …“
    Banow hörte zu und nickte. Natürlich wäre es wohl seltsam, im Kreml einen gewöhnlich gekleideten, unansehn­lichen Hausmeister mit seinem Besen zu erblicken!
    „Ich habe sogar eine lederne Aktentasche!“, ergänzte Karpowitsch.
    „Wozu denn eine Aktentasche?“
    „Für den handschriftlichen Papierabfall. – Also gut, gehen wir!“
    Und sie gingen am Milizionärsposten vorbei, der ihnen freundlich zulächelte, und durch das Kremltor.
    „Tu du nur so, als würdest du hier arbeiten!“, bat Karpowitsch.
    „Wie mache ich das?“
    „Schau zu Boden, sieh dir nichts genauer an … und lächle!“
    Banow nickte und begann den Boden anzulächeln.
    Eine Weile gingen sie auf einem betonnierten, schmalen Weg an der Mauer entlang in Richtung Fluss. Dann bogen sie zu einem niedrigen kleinen Gebäude ab, das sich hinter ein paar Blautannen verbarg. Sie traten durch die geöffnete Tür.
    Drinnen roch es nach Feuchtigkeit. Eine Lampe brannte nicht.
    „Warte hier!“, bat Karpowitsch und verschwand in der feuchten Finsternis.
    Er blieb etwa fünf Minuten fort.
    Banow begann es widerwärtig im Hals zu kitzeln. Er hustete und hörte im nächsten Augenblick, wie ein Echo den Laut aufnahm und irgendwohin in weite Ferne davontrug. Ihm wurde unheimlich zumute.
    Nach zwei Minuten war wieder alles still. Dann ertönten Schritte.
    „Alles in Ordnung!“, erklärte Karpowitsch, als er neben Banow stehengeblieben war. „Mein Landsmann tritt jetzt seinen Dienst an, also können wir uns langsam hinbewegen.“
    Karpowitsch durchschritt die Finsternis fest, als ob er jeden Zentimeter dieses seltsamen unterirdischen Weges kennen würde.
    „Kann man hier vielleicht Licht anmachen?“, erkundigte Banow sich.
    „Das kann man. Normalerweise mache ich es an, aber … vielleicht kommt uns plötzlich jemand entgegen und sieht dich, dann würde es uns schlecht ergehen. Vorsicht, hier gibt es jetzt Stufen!“
    Banow blieb stehen, hielt den Atem an und tat vorsichtig einen Schritt nach vorn. Er fand die erste Stufe und begann hinabzusteigen. Karpowitsch war bereits irgendwo weiter unten.
    Plötzlich ertönte ein Krachen in ihrer Nähe, und die Erde unter Banows Füßen bebte. Vor Schreck setzte er sich hin und berührte den feuchten Beton der Stufen mit den Händen.
    „Karpowitsch!“, rief er unterdrückt.
    „Was?“, klang es aus der Finsternis.
    „Was war das für ein Krachen?“
    „Sie testen einen unterirdischen Zug! Man nennt das Metro. Bald wird man unter ganz Moskau herumfahren können.“
    Wieder wurde es still.
    Wasser gluckste unter Banows Füßen.
    „Wir sind schon nah!“, sagte Karpowitsch. „Gleich kommt ein Postaufzug, mit dem fahren wir hinunter!“
    Vier rote Lämpchen leuchteten in der Finsternis, und vor ihrem trüben Hintergrund tauchte die Gestalt Karpowitschs auf.
    Banow lief zu ihm und blieb bei ihm stehen.
    Karpowitsch

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