Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der unbeugsame Papagei

Der unbeugsame Papagei

Titel: Der unbeugsame Papagei Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrej Kurkow
Vom Netzwerk:
die Schulter.
    „Ich bin nicht Petrow, ich bin Hiromi Josimura … aber ich bin Ihr Genosse, keine Angst! Die hiesigen Bewohner werden Ihnen ein Hundegespann geben und Ihnen sagen, wie man zum nächsten Städtchen kommt! Wir aber müssen los! Auf Wiedersehen!“
    Waplachow, der nüchtern war, weil er keinen Sake getrunken hatte, stand auf und begleitete die japanischen Genossen zum Propellerschlitten, er wartete sogar in der Kälte, bis sie ihren Motor gestartet hatten und in die nördliche Nacht davongejagt waren.
    Wieder im Haus, schleppte er fürsorglich seinen am Boden liegenden Chef auf ein Bett, deckte ihn mit einer Decke zu und legte Holz im Ofen nach. Dann holte er eine Flasche Trinkspiritus aus der Kiste, die in der Zimmerecke stand.
    Das Prasseln des Feuers, das in dem metallenen Öfchen aufflammte, erfüllte das Zimmer. Dobrynin aber schlief tief und fest.
    Waplachow machte es sich am Ofen bequem, schenkte sich eine halbe Tasse Spiritus ein, trank einen Schluck und versank in Nachdenken.
    Die Nacht vor dem Fenster war wieder still. Seine Gedanken sprangen von den Japanern weiter zu seinem eigenen Volk, das auf der Suche nach dem Glück irgendwohin über den Schnee davongegangen war. Er erinnerte sich an die vielen Dutzende nackter Fußspuren im Schnee und an seine seltsamen Gefühle beim Anblick dieser Spuren. Nein, er hatte sich nicht gefreut, als er schließlich erkannte, dass sein Volk noch lebte; er hatte sich nicht gefreut, aber geärgert hatte es ihn natürlich auch nicht. Er fühlte sich nur einfach unnütz. Wenn er mit ihnen gegangen wäre, dann wäre das etwas anderes gewesen. Die Mühen des winterlichen Weges hätten ihn wohl kaum geschreckt, wenn er gewusst hätte, dass sie alle gemeinsam wie eine große Familie in eine bessere Zukunft gingen. Doch da tauchte noch ein anderer, ein frevelhafter Gedanke in seinem Kopf auf: ‚Dir hat es doch gefallen, ein Ein-Mann-Volk zu sein! Es hat dir gefallen zu denken, du wärst der letzte noch lebende Urku-Jemze, der einzige!‘
    Dmitrij trank noch einen Schluck.
    Er spürte, wie ihm Tränen über die Wangen liefen.
    Noch kürzlich hatte er einen Traum gehabt – Russe zu werden, Teil dieses großen, starken Volkes zu sein. Er dachte, sobald er erst Russe würde, würde er sofort an Kraft, Vernunft und Entschiedenheit gewinnen. Aber die Russen hatten ihm trotz all ihrer Freundlichkeit nicht erlaubt, Russe zu werden, und sie hatten ihm auch nicht erlaubt, mit Dobrynin nach Moskau zu fliegen. Sie nahmen ihn mit auf die Jagd, brachten ihm das Kartenspielen bei, gaben ihm gut zu essen und zu trinken. Doch auf jener Jagd hatten sie einen Bären getötet, und das hatten sie auf falsche Weise und grausam gemacht und damit die ewigen Traditionen der Beziehung zwischen Mensch und Natur verletzt. Daran hatte Waplachow erkannt, dass die Russen der Natur und besonders dem Wald fern waren, sie kannten die Gesetze des Lebens nicht, die jedem nördlichen Volk vertraut waren.
    Dobrynin stöhnte in seinem betrunkenen Schlaf, wälzte sich von einer Seite auf die andere, und die Decke, mit der ihn der Urku-Jemze zugedeckt hatte, glitt zu Boden.
    Waplachow erhob sich, nahm die Decke auf und deckte den Volkskontrolleur wieder zu.
    ‚Ein guter Mensch!‘, dachte er über Dobrynin.
    Der Generator, der draußen hinter der Hauswand stand, hustete plötzlich und verstummte. Gleich darauf erlosch das Iljitsch-Lämpchen, und Dunkelheit senkte sich über die Bewohner dieses Zimmers, nur noch spärlich durchbrochen von einer müden Flamme, die an den verkohlten Holzscheiten im Ofenfass leckte.

Kapitel 2
    Es wurde ein trockener Abend, und darüber freute Banow sich sehr. Er ging nochmals hinaus in den Flur und drängte die Putzfrau Petrowna zur Eile, indem er sie daran erinnerte, dass zu Hause die Enkel auf sie warteten.
    „Ach, der Boden ist hier so schmutzig!“, sagte sie seufzend. „Und in dem Klassenzimmer da drüben ist es überhaupt … die Aloe ist rot wie ein gekochter Krebs!“
    „Was?“, fragte Banow nach und musterte die Petrowna scharf.
    „Die Aloe ist rot!“, sagte die Alte. „Wahrscheinlich ist sie schlecht geworden!“
    Banow schaute hinein ins Klassenzimmer und erblickte tatsächlich auf dem Fensterbrett eine hohe leuchtendrote Aloe. Nachdem er sie bestürzt betrachtet hatte, kehrte der Schuldirektor in den Flur zurück und sagte zur Petrowna: „Weißt du was, trag sie ins Arztzimmer und stell sie dort ans Fenster!“
    Eine halbe Stunde später verabschiedete

Weitere Kostenlose Bücher