Der unersättliche Spinnenmann
Reis und schwarze Bohnen. Meine Mutter hat eine kleine Hühnerzucht: zwei Hennen, einen alten Hahn und zehn oder zwölf Küken. Alle in einem Gehege. Wenn sie Mais bekäme, könnte sie viermal so viele Hühner halten. Das Gehege ist sehr groß. Na ja, was soll’s. Ich gehe wieder rein und mache Kaffee. Bringe Julia eine Tasse ans Bett. Wecke meine Mutter und bring auch ihr eine Tasse. Sie beschwert sich:
»Warum weckst du mich denn so früh?«
»Es ist schon nach sieben. Aufstehen.«
»Du bist genau wie dein Vater. Der ließ mich auch nie schlafen.«
»Das muss von meinem Großvater kommen.«
»Dein Großvater war noch viel schlimmer. Der stand schon um fünf Uhr morgens auf. Er meinte, das hätten sie auf den Kanaren schon als Kinder so gemacht.«
»Was machte er denn da so früh?«
»Kühe melken. Das sind halt die Sitten auf dem Land, mein Sohn. Du solltest mehr schlafen und ausruhen.«
»Wenn ich tot bin, werde ich schon noch genug ruhen.«
»Oh Jesus, Maria und Josef, sag doch so was nicht, mein Junge.«
»Du solltest dir eine Kuh im Hof halten. Morgens brauche ich Milchkaffee.«
»Ach, mein Junge …«
»Ja, ich weiß schon. In diesem Viertel gibt’s keine Milch und auch sonst nichts.«
»In diesem Viertel leben arme Leute.«
»Und im Zentrum von Havanna leben die Reichen?«
»Nein, aber dort ist mehr Geld im Umlauf. Die Vororte sind immer so … ärmlich eben.«
»Na gut, schhh, morgens soll man nicht so viel reden. Trink deinen Kaffee.«
Sie redet zu viel. Jeder Vorwand ist ihr recht. Ich ging in den Hof hinaus und setzte mich unter den Flamboyant. Der Platz gefällt mir sehr. Es ist kühl dort. Ich höre, wie meine Mutter jetzt mit Julia spricht. Mich stört so viel Gequassel kurz nach dem Aufstehen. Mein Kopf ist dann immer noch ganz zu. Ich schließe die Augen und atme tief. Julia bringt mir noch eine Tasse Kaffee.
»Gefällt dir dieses Viertel wirklich? Ich kann’s nicht fassen.«
»Ja, es gefällt mir. Es liegt halb auf dem Land, halb in der Stadt. Wollen wir’s versuchen?«
»Nein, nein. Fang bloß nicht davon an.«
Sie ließ mich mit meinem Kaffee allein und ging wieder ins Haus. Sie ist auf dem Land geboren. Acht Geschwister und eine wahnsinnige Armut. Einmal hat sie mir erzählt: »Ich war vier oder fünf Jahre alt und musste jeden Tag riesige Wasserkanister vom Fluss bis zu unserer Hütte schleppen. Mit acht Jahren ging ich mit meiner Tante und meinem Onkel in die Stadt, und da konnte ich studieren. Du weißt ja, dass meine Geschwister Analphabeten sind. Nur als Leiche gehe ich aufs Land zurück. Und auch dann wär’s nur gegen meinen letzten Willen.« Ich antwortete ihr:
»Julia, mit mir wär das doch ganz anders. Wir hätten ein modernes Haus und auch ein paar Annehmlichkeiten.«
»Sei nicht blöd, mein Lieber. Wach auf, du bist in Kuba. Das gleiche Elend wird es noch in zwanzig Jahren geben und in dreißig auch noch. Diese Scheiße wird nie besser.«
»Positiv denken, Julia, positiv denken.«
»Wenn du unbedingt aufs Land willst, dann lassen wir uns scheiden, und du ziehst auf einen Berg oder in den Wald. Du ganz allein. Oder mit einer anderen Frau. Mit mir nicht! Und fang mir nie mehr in deinem Leben von diesem Thema an!«
Wenn sie sich dumm stellt, lässt man sie besser in Ruhe. Ich denke aber ganz im Ernst dran. Eines schönen Tages lasse ich mich scheiden, besorge mir hier ein Häuschen mit einem Stück Land, kaufe zwei Milchkühe und mache einen kleinen Bauernhof auf. Weit weg von all der Scheiße.
Ich ging ins Haus, zog mich an und trat auf die Straße. Meine Mutter und Julia unterhielten sich. Ich drehte eine Runde durchs Viertel. An einer Straßenecke verkaufte ein Typ Mangos. Nein. Zu grün. Ich fragte ihn, wo hier vielleicht Fleisch verkauft wurde. Er zeigte mir ein heruntergekommenes, blau angestrichenes Fischgeschäft und versicherte mir, dass dort am Sonntag bis mittags geöffnet sei. Ich ging rüber. Es gab nur Froschschenkel. Klein und mager. Die kann ich nicht essen. Vor vielen Jahren hat man mich mal auf eine Ochsenfroschjagd mitgenommen. Es war Nacht, und wir mussten die ganze Zeit bis zu den Knien im Schlamm und Wasser waten. Die beiden, die fischten, waren echte Profis. Superschnell. Sie fingen sie lebend und rissen sie mit einem Ruck in zwei Teile: Der hintere Teil kam in einen Sack. Das andere Stück: Kopf, Vorderfüße und ein bisschen blutige Eingeweide, flog kreischend durch die Luft. Sie hüpften, krochen weiter und verschwanden im
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