Der unersättliche Spinnenmann
das Money locker stecken, hahaha. Mach schon, Alter, komm her, und wir haben zusammen Spaß!«
Ich sah sie mir genauer an. Sie waren vielleicht fünfzehn oder sechzehn, zwei sehr schlanke Mulattinnen mit einem Wahnsinns-Drive. Ein paar Jahre zuvor wäre ich dageblieben, und wir hätten eine viertägige Orgie gefeiert. Aber die Jahre vergehen nicht umsonst. Man wird vorsichtig und feige. Was für eine Scheiße! Ich hätte nie gedacht, dass ich mal so dekadent und reaktionär werden und so eine Einladung ausschlagen würde. Vielleicht hat Julia mich mit ihrer tragischen Sicht des Lebens angesteckt.
Ich gehe nach Hause. Julia dreht gerade einer der Hennen den Hals um und bricht ihr das Genick. Dann wirft sie sie in das Gatter zurück, damit sie flügelschlagend stirbt, in wilden Zuckungen. Der Hahn wird ganz erregt und bespringt sie. Seine Gefährtin so vieler Jahre im Gatter. Vielleicht wollte er sich nur zärtlich verabschieden. Er bespringt sie noch einmal. Dreht eine Runde und noch ein drittes Mal. Die Henne hat das Genick gebrochen und liegt in den letzten Zuckungen, und der Hahn hat keine Ahnung, was los ist, glaubt wahrscheinlich, die Henne zittert im Orgasmus.
Julia kommt mit einem Kessel kochenden Wassers, um sie zu rupfen. Sie schaut mich an und sagt, spöttisch lachend:
»Da sieh mal, das kann ich auch mit dir machen. Ich dreh dir den Hals um, und du machst noch ein paar Hupfer und kratzt ab, hahaha.«
»Das machst du mit der Henne, weil sie kleiner ist als du.«
In einer Ecke des Hofes ist ein kleiner Schuppen, mit einem Vorhängeschloss an der Tür. Während Julia die Henne rupft und ausnimmt, hole ich den Schlüssel, schließe den Schuppen auf und krame herum. Manchmal finde ich an solchen Orten interessante Dinge. Da sind noch ein paar Werkzeuge meines Vaters, leere Flaschen, allerlei Müll, kaputtes Zeugs, das sich ansammelt, und eine Kiste alter Bücher und Schulhefte von mir und meinem Bruder. Hefte aus der Grundschule. Warum hebt meine Mutter das alles immer noch auf? Unter den Büchern ist eine illustrierte Ausgabe der »Pickwick Papers« von Charles Dickens. Ich weiß noch, wie ich es damals las, mit zwölf, dreizehn Jahren. Ich verbrachte Stunden damit, in jenem dicken Buch zu lesen, und hatte großen Spaß dabei. Damals lebten wir noch nicht in El Calvario, sondern in Matanzas. Wenn es eben ging, haute ich für ein paar Stunden ab, in die öffentliche Bücherei der Stadt. Das war ein sehr sauberer, leiser Ort, klimatisiert und mit einem Duft nach Rosen und Lavendel. Viele Jahre später erfuhr ich, dass dies die absolute Reinheit der WASP war. Die Bibliothek war die Spende einer aristokratischen Familie aus Nordamerika, ich glaube, aus Boston.
Ich ging gern dorthin, um zu lesen. Es war, als hätte ich zwei Leben. Mein normales Leben lief tagtäglich in dem Mietshaus an der Velarde-Straße ab. In einem kleinen, stickigen Raum voll schlechter Gerüche, Hitze, Lärm, Fliegen. Die gewöhnlichsten Leute der Welt, die immer und ohne Pause ihre Sauereien erzählten. Nie wurden sie müde, Rum zu saufen, wegen jeder Kleinigkeit Streit anzufangen und Blödsinn zu reden. Es war unangenehm, und ich hasste es. Deshalb ging ich gern auf die Straße hinaus und verkaufte Eis mit meinem Vater. Vor allem im Hafen und in der Hahnenkampf-Arena. Es war sehr spannend, die riesigen Schiffe und die Hahnenkämpfe zu sehen. Und wann immer es ging, verkrümelte ich mich heimlich in die Bibliothek und betrat eine hygienische, strahlende Welt ohne Fliegen und schlechte Gerüche. Ich mochte diese absolute Reinheit.
Ich ließ alles im Schuppen, wie ich es vorgefunden hatte. Es ist besser, die Vergangenheit ruhen zu lassen. Julia ist fertig mit dem Huhn und stellt es aufs Feuer. Ich gehe ins Wohnzimmer, schalte den Fernseher ein. Es gibt eine Sendung für Film-Fans mit einer Dokumentation über David W. Griffith. Sie dreht sich um einen Film, der ihm ein bisschen düster geraten war, ich glaube, »The Struggle«. Er gefiel dem Publikum nicht. Der Sprecher sagte: »Es war die Zeit der großen Depression. Die Leute wollten abgelenkt werden und nicht ihr eigenes Elend auf der Leinwand sehen.«
Julia setzte sich ein paar Minuten zu mir. Das Huhn kochte schon ein ganzes Weilchen. Als sie den Kommentar hörte, sagte sie:
»Hörst du das? Dann lern endlich draus! Hier druckt man deine Bücher nicht, und du bist beliebt wie ein Fußtritt in den Hintern.«
»Ach, Julia …«
»Ja, weil du eklig und vulgär bist. Du schreibst
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