Der unersättliche Spinnenmann
Schlamm. Es stank total nach Vergammeltem in den Sümpfen dort. Das waren die Reste der Frösche. Ich sah zu, wie das in drei Stunden Hunderte Male passierte. Die Typen waren so was wie nationale Meister in der Froschjagd. Jetzt fragte ich den Verkäufer:
»Gibt’s heute Fisch bei Ihnen?«
»Fisch? Nein, Compañero, nein. Wir warten auf Kroketten. Und draußen steht schon eine Schlange, da müssen Sie sich anstellen. Wenn es hier drunter und drüber geht, verkaufe ich nichts, und es gibt erst morgen was.«
Ich antwortete nicht. Ich kannte diese Kroketten: Mehlklöße mit einem ganz leichten Geschmack nach Fisch. Ich ging wieder raus. Ich hatte sie nicht gesehen: Wenige Meter entfernt stand eine Gruppe von zehn, zwölf ärmlich gekleideten Alten. Eine vulgäre, aggressive Alte meinte:
»Für die Kroketten gibt’s ‘ne Schlange, Compañero! Da müssen Sie sich anstellen. Hier wird nicht vorgedrängelt, wir stehen schließlich schon seit vier Uhr früh hier.«
Ich schaute sie gar nicht an. Wenn man mich so anmacht, reagiere ich mit Verachtung. Ich ging einfach weiter. Vielleicht erwischte ich ja etwas mit Proteinen. Etwas Reelleres als diese vergammelten Kroketten. Proteine sind immer noch ein existenzielles und transzendentales Problem. Fast wie das Erreichen des Dharma. Ich lief bis zum Managua-Boulevard. Nichts in Sicht. Das Viertel viel zu ruhig. Eine Frau verkauft Kaffee und Kokosplätzchen. Sie hat vor ihrer Haustür einen kleinen Verkaufsstand aufgebaut: einen Tisch und darauf den Plätzchenkorb, eine Thermoskanne und ein paar Gläser. Wir sehen uns an und erkennen uns im selben Moment. Es ist Zaida. Herzlich begrüßen wir uns. Wir sind seit unserer Jugend befreundet, als ich hier von Zeit zu Zeit bei meinen Eltern wohnte. Wir haben uns seit vielen Jahren nicht gesehen, und jetzt erzählt sie mir aus ihrem Leben: Sie hat einen Sohn, der gerade sechzehn geworden ist. Mit dem Verkauf von Kaffee und Kokosplätzchen verdient sie sich was dazu. Ich sagte:
»Also so weit alles in Ordnung?«
»Schön wär’s, wenn alles in Ordnung wäre.«
»Weshalb?«
»Ich weiß nicht, was ich mit Jorgito machen soll.«
»Deinem Sohn?«
»Ja.«
»Was ist los mit ihm?«
»Weißt du, ich glaube, er hat ein Trauma. Keine Ahnung. Er will Priester werden.«
»Mach kein Scheiß. Ist er übergeschnappt?«
»Ich weiß nicht, was ich davon halten soll. Er sagt, es gebe keine Moral mehr, es drehe sich alles nur ums Geld, alles sei nur noch verlogen und korrupt. Dass die Leute anders reden, als sie denken.«
»Na ja, da hat er ja Recht, aber …«
»Neulich hat er mir gesagt: ›Das soll der Fortschritt sein, Mami? Das ist Unmoral und Niedertracht! Ich bin gerade im Priesterseminar von San Bartolomé gewesen und habe mich erkundigt, wie ich in das Seminar eintreten kann.‹«
»Ach du Scheiße, er hat ‘ne Schraube locker.«
»Genau das befürchte ich. Manchmal liest er drei, vier Bücher gleichzeitig. In dem Alter gibt’s leicht ‘nen Kurzschluss, und das war’s. Ins Irrenhaus für den Rest des Lebens.«
»Ja, da muss man aufpassen. War er tatsächlich im Priesterseminar?«
»Ja. Als er zurückkam, hat er’s mir erzählt. Er war total beeindruckt von der Ruhe, der Stille, der Rücksichtnahme dort. Er hat nur noch geschwärmt davon. Ich hab gesagt: ›Jorgito, vergiss es. Schlag dir das aus dem Kopf, such dir ‘ne Freundin, geh in die Diskothek.‹ Er hat nur geantwortet: ›Das interessiert mich nicht. Das ist mir alles zu vulgär.‹«
»Hat er noch nie eine Freundin gehabt?«
»Nein. Wenigstens nicht, dass ich wüsste. Deshalb hab ich ihn auch gefragt: ›Jorgito, magst du vielleicht lieber Jungs als Mädchen? Sag mir die Wahrheit. Kein Problem. Ich bin deine Mutter.‹ Und er hat gesagt: ›Sex interessiert mich nicht. Mir gefallen weder Männer noch Frauen. Es gibt zu viel Unmoral, und es gibt keine Liebe. Keiner weiß, was Liebe ist. Alle laufen nur den Dollars hinterher.‹«
»Zum Teufel, der redet ja wie ein Messias. Wie ein vom Himmel Gesandter.«
»Hahaha, mach dich nicht lustig.«
»Ich mach mich gar nicht lustig. Wenn er es ernst meint, kann er sich eine Menge Probleme an den Hals holen. So hat Jesus Christus auch gesprochen, und man hat ihn geköpft.«
»Das ist ja das Problem. Er redet überall so, mit seinen Klassenkameraden, mit allen. Als ob er predigen würde.«
»Wenn er deswegen unangenehm auffällt, blocken sie ihn ab und lassen ihn nicht auf die Uni.«
»Die Uni interessiert ihn
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