Der unglueckliche Moerder - Roman - Ausgezeichnet mit dem Skandinavischen Krimipreis
als es darstellte. Einen Vater, der seinen Sohn im Gefängnis besucht. Einen Archetyp.
Er träumte auch von G. Von dem Fall G., seinem einzigen unaufgeklärten in all den Jahren. Auch in diesem Traum passierte eigentlich nichts. G. saß in seinem schwarzen Anzug auf der Anklagebank und betrachtete ihn aus der Tiefe seiner mörderischen Augen. Ein sardonisches Lächeln umspielte seine Lippen. Der Staatsanwalt lief hin und her und stellte Fragen, G. antwortete jedoch nicht, er musterte nur Van Veeteren auf der Zuhörertribüne mit dieser charakteristischen Mischung aus Verachtung und Trotz.
Dieser kurze Traum flößte ihm um einiges mehr an Unlust ein, aber nach dem Erwachen wusste er trotzdem nicht mehr, in welcher Reihenfolge er sie geträumt hatte. Welcher der Erste gewesen war. Beim Frühstück fragte er sich, ob sie auf irgendeine Weise aneinander geschnitten worden sein könnten, wie im Film — Erich im Gefängnis und G. vor Gericht — und welche Botschaft sich in diesem Fall in einem solchen Paralleltraum verbergen konnte.
Eine Antwort fand er nicht, vielleicht, weil er das gar nicht wollte. Vielleicht, weil es keine gab.
Als am Donnerstagnachmittag alle Bücher verpackt und die Kartons beschriftet waren, lud er seine eigene Bücherkiste ins Auto, verbrachte zwei Stunden im Schwimmbad und war
gegen sechs zu Hause in Klagenburg. Auf dem Anrufbeantworter, den Ulrike ihm geschenkt hatte, fand er zwei Mitteilungen. Die eine stammte von ihr: Sie wolle am Freitag mit Morchelpastete und einer Flasche Wein vorbeischauen, behauptete sie, und sie fragte, ob er nach eigenem Gutdünken und auf eigene Faust Gewürzgurken und anderes Zubehör besorgen könne.
Die andere Mitteilung war von Mahler, der erklärte, er werde um neun Uhr unten im Verein die Figuren aufstellen.
In diesem Augenblick war der Kommissar bereit, dem Erfinder des Anrufbeantworters — wer immer es gewesen sein mochte — eine halbe Anerkennung zu zollen.
Es regnete, als er auf die Straße kam, die Luft jedoch war mild, und er ging, wie geplant, über den Friedhof. In der ersten Woche nach Erichs Tod war er jeden Tag dort gewesen, zumeist abends, wenn die Dunkelheit alles mit ihrer behutsamen Decke eingehüllt hatte. Der letzte Besuch war nun aber drei Tage her. Im Näherkommen verlangsamte er seine Schritte, er dachte gar nicht darüber nach, es war einfach ein automatisches, instinktives körperliches Begreifen. Das offene Gelände war um diese Zeit menschenleer, Grabsteine und Gedenkstätten ragten als noch schwärzere Silhouetten in die sie umgebende Dunkelheit hinein. Er konnte nur seine eigenen Schritte auf dem Kiesweg hören, dazu gurrende Tauben und Autos, die weit entfernt in einer anderen Welt schneller fuhren. Er erreichte das Grab. Blieb stehen und lauschte, wie üblich, die Hände in die Manteltaschen gebohrt. Falls es um diese Zeit überhaupt irgendeine Botschaft oder irgendein Zeichen zu deuten gab, dann ging das nur durch das Gehör, das wusste er.
Die Toten sind älter als die Lebenden, dachte er. Egal, wie alt sie waren, als sie die Grenze überquert haben, sie haben eine Erfahrung gemacht, die sie älter als die Lebenden werden lässt.
Sogar ein Kind. Sogar ein Sohn.
In der Dunkelheit konnte er die kleine Namenstafel nicht lesen, die sie aufgestellt hatten, während sie auf den von Renate bestellten Grabstein warten mussten. Plötzlich wünschte er, es sei möglich. Er hätte gern Namen und Datum gelesen und beschloss, beim nächsten Mal im Hellen herzukommen.
Während er noch dort stand, hörte der Regen auf, und zehn Minuten später ging er los.
Verließ seinen Sohn, diesmal mit einem Schlaf gut, Erich auf den Lippen.
Wenn es möglich ist, komme ich irgendwann zu dir.
In den Vereinsräumen wimmelte es von Gästen. Mahler war jedoch rechtzeitig gekommen und hatte ihnen die übliche Nische mit dem Stich von Dürer und dem gusseisernen Leuchter gesichert. Er zupfte sich am Bart und schrieb in einem schwarzen Notizbuch, als Van Veeteren eintraf.
»Neue Gedichte«, erklärte er und klappte das Buch zu. »Oder eher alte Gedanken in neuen Worten. Meine Sprache hat schon vor dreißig Jahren aufgehört, mein Gehirn zu transzendieren, und ich weiß auch nicht mehr, was transzendieren bedeutet. . . wie geht es dir?«
»Wie ich es verdiene«, sagte Van Veeteren und zwängte sich in die Nische. »Manchmal habe ich das Gefühl, dass ich auch das hier überleben werde.«
Mahler nickte und zog eine Zigarre aus der
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