Der unglueckliche Moerder - Roman - Ausgezeichnet mit dem Skandinavischen Krimipreis
mit nüchterner Resignation fest und bog in die Kellnerstraat ab.
Ansonsten war es ja nicht das erste Mal, dass er mit etwas Schnaps im Leib losfuhr. Es war schon ein- oder zweimal vorgekommen, und es hatte niemals Probleme gegeben. Als er jetzt quer über den Platz auf seinen roten Audi zuging, versuchte er sich zu erinnern, wie viel er sich an diesem Abend zu Gemüte geführt hatte, aber es gab da doch etliche Unklarheiten, und er kam zu keinem sicheren Ergebnis. Also öffnete er mit der Fernbedienung den Wagen und ließ sich hinters Steuer fallen. Stopfte sich vier Halstabletten in den Mund, ließ den Motor an und dachte an sein Schaumbad.
Eukalyptus, beschloss er. Schaute auf die Uhr. Es war zwei Minuten nach halb zwölf.
Der Bus fuhr in dem Moment an ihm vorbei, als er aus dem Haus kam.
Er hob die Hand, in dem reflexmäßigen Versuch, den Fahrer zum Anhalten zu bewegen. Danach fluchte er ausgiebig und sah zu, wie die Rücklichter auf der leichten Steigung zur Universität hin verschwanden.
Scheiße, dachte er. Warum muss der ausgerechnet heute Abend den Fahrplan einhalten? Typisch. Verflixt typisch!
Doch als er auf die Uhr sah, stellte er fest, dass er fast fünf Minuten zu spät dran war, und dass deshalb alles nur seine Schuld war.
Seine und Katrinas, nicht zu vergessen. Beim Gedanken an
sie hob sich seine Laune ein wenig. Energisch zog er seinen Rucksack gerade, streifte die Kapuze über und setzte sich in Bewegung.
Er hatte eine gute Dreiviertelstunde vor sich, aber er würde auf jeden Fall um kurz nach zwölf zu Hause sein. Das war nicht so schlimm. Seine Mutter würde am Küchentisch sitzen und auf ihn warten, davon konnte er natürlich ausgehen. Sie würde am Tisch sitzen und diese zutiefst vorwurfsvolle Miene an den Tag legen, die sie im Laufe der Jahre zu großer und stummer Dramatik entwickelt hatte, aber das war nicht die Welt. Jeder kann schließlich den Bus verpassen, das kommt in den besten Familien vor.
Beim Keymerfriedhof spielte er mit dem Gedanken an eine Abkürzung. Aber er beschloss, den Friedhof zu umrunden; zwischen Gräbern und Kapelle sah es nicht gerade einladend aus, schon gar nicht in dieser kalten Finsternis mit frostigen Nebelfetzen, die durch Gassen und Gänge und aus den schwarzen Kanälen krochen. Offenbar wollten sie die Stadt in eine nächtliche Decke hüllen. Ein für alle Mal.
Ihn schauderte, und er beschleunigte sein Tempo. Ich hätte bei ihr bleiben können, dachte er plötzlich. Hätte Mama anrufen und bei Katrina bleiben können. Sie hätte natürlich zuerst herumgequengelt, aber was hätte sie schon tun können? Der letzte Bus war ja schließlich weg. Ein Taxi konnte er sich nicht leisten, und weder Uhrzeit noch Witterung ließen es angebracht erscheinen, dass ein Junge ganz allein unterwegs war.
Oder dass eine Mutter ihn dazu ermunterte.
Doch das waren nur Gedankenspielereien. Zielstrebig ging er weiter. Durch den Stadtwald — über den spärlich beleuchteten Geh- und Radweg — lief er fast und erreichte damit die Hauptstraße schneller als erwartet. Jetzt noch das letzte Stück, dachte er. Die lange, triste Wanderung entlang der Hauptstraße, keine besonders angenehme Strecke, wenn man es genau nahm. Es war kaum Platz für Radfahrer und Fußgänger. Nur den schmalen Streifen zwischen Straßengraben und Fahrbahn,
und die Autos fuhren schnell. Es gab keine Geschwindigkeitsbegrenzung und keine nennenswerte Straßenbeleuchtung.
Zwanzig Minuten Wanderung über eine dunkle Straße im November. Er war erst zweihundert Meter weit gekommen, als ein kalter Wind aufkam und den Nebel zerriss, und dann brach der Regen über ihn herein.
Verdammt, dachte er. Jetzt könnte ich in Katrinas Bett liegen. Nackt, und ganz dicht bei Katrina, mit ihrem warmen Körper und ihren behutsamen Händen, ihren Beinen und ihrer Brust, auf die er fast die Hand hätte legen dürfen ... dieser Regen musste ein Zeichen sein.
Doch trotz allem ging er weiter. Ging weiter durch Regen und Wind und Dunkelheit und dachte an sie, die die Erste sein sollte.
Die die Erste hätte sein sollen.
Er hatte ein wenig schräg geparkt, musste rückwärts aus der Lücke fahren und als er gerade glaubte, es geschafft zu haben, schrammte seine rechte Heckflosse an einem dunklen Opel vorbei.
Zum Teufel, dachte er. Warum habe ich mir kein Taxi genommen? Vorsichtig öffnete er die Tür und schaute nach hinten. Erkannte, dass wirklich so gut wie gar nichts passiert war. Eine Bagatelle. Er schloss die
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