Der Ungnädige
auch nicht so langsam wie die erste. Derwent war so dicht hinter mir, dass er mir fast auf die Hacken trat. Zweite Etage, Wohnungen 9 bis 12, wie ein Schild hilfreich informierte. Forgraves Wohnung befand sich auf der rechten Seite. Ich hielt wieder an und lauschte. Nichts, außer Derwents Atem hinter mir, langsam und gleichmäßig. Wir gingen zusammen den offenen Korridor entlang, ruhig, aber bestimmt. Als wir uns Forgraves Wohnung näherten, hatte ich mich einigermaßen beruhigt. Keinerlei Anzeichen dafür, dass irgendetwas nicht stimmte. Er hatte keine Blumenkästen, nichts Persönliches, das die Aufmerksamkeit auf ihn gelenkt hätte. Wir kamen an Wohnung Nummer 10 vorbei, und ich zuckte zusammen, als ein Hund in wildes Gebell ausbrach, schrill und durchdringend. Ich hörte seine Krallen auf dem Boden, als ob er versuchte, sich einen Weg ins Freie zu graben. Derwent lachte.
» Ob das ein Jack-Russell-Terrier ist? «
» Irgendwas in der Art. « Mein Mund war trocken. Ich schluckte und räusperte mich. » Guter Wachhund jedenfalls. «
» Kann ja nicht viel los sein, wenn er ruhig war, bis wir gekommen sind. «
Ich war geneigt, ihm zuzustimmen. Derwent schob sich an mir vorbei und klopfte an Forgraves Tür, wartete ein paar Sekunden und beugte sich dann nach unten, um den Briefschlitz aufzuklappen. » Hallo? Mr. Forgrave? «
Keine Reaktion. Derwent verharrte in seiner Position und spähte durch die schmale Öffnung.
» Irgendwas zu sehen? «
» Nein. « Er schob den Mund näher an den Spalt und sprach mit leiser Stimme, damit es außerhalb der Wohnung nicht zu hören war. » Mr. Forgrave, hier ist die Polizei. Öffnen Sie bitte die Tür. «
Wir lauschten, während die Sekunden verstrichen. Das einzige Geräusch war das beständige Kratzen des Hundes von nebenan. Ich nutzte die Zeit, um mir die Vorderseite der Wohnung genauer anzusehen. Kein Hinweis auf ein gewaltsames Eindringen. Es gab nur ein Fenster zur Straßenseite, in das Forgrave zum besseren Sichtschutz Mattglas hatte einsetzen lassen. Lediglich der obere Teil des Fensters war durchsichtig. Derwent richtete sich auf und folgte meinem Blick. » Wollen Sie mal hineinspähen? Ich helfe Ihnen hoch. «
Ich stellte meinen Fuß in seine verschränkten Hände und hielt mich am Fensterrahmen fest, als er mich hochstemmte. Mir blieben ein paar Sekunden, bis er mich mit einem Stöhnen zu Boden rutschen ließ.
» Lieber Himmel, wie viel wiegen Sie denn? «
» Nicht so viel eigentlich. Ich hatte gedacht, Sie wären fit. Ziemlich schwache Nummer, finde ich. «
» Tja, ich laufe, aber Gewichtheber bin ich nicht. « Er grinste mich an mit einem seiner plötzlichen Stimmungswechsel, die mich immer so unvorbereitet trafen. » Haben Sie irgendwas Interessantes gesehen? «
» Nicht viel. War kaum was zu erkennen. Besonders hell ist es nicht da drin. Aber es scheint alles in Ordnung zu sein. «
» Gut. Dann fahren wir wohl mal weiter. Wen haben wir denn noch auf der Liste? « Er schickte sich an, die Treppen nach unten zu gehen, und ich folgte ihm, wobei ich in meiner Tasche nach dem Zettel kramte.
» Stanley Flanders. Wohnt im Mayhew Estate. «
» Katzensprung. Kann ich schon von hier aus sehen. «
» Zum Glück. Wir müssen bloß die richtige Wohnung finden, das ist alles. Es stehen nur ungefähr 2000 zur Auswahl. «
» Wir haben doch eine Nummer. «
» Schon, aber das Ding ist ein Labyrinth. «
Damit hatten wir die erste Etage erreicht. Derwent pfiff vor sich hin, stürmte die letzten Stufen nach unten und stieß die Haustür auf. Kaum hatte ich meinen Fuß nach draußen gesetzt, blieb ich stehen und ärgerte mich über mich selbst. Ich machte auf dem Absatz kehrt, um noch einmal nach oben zu rennen. » Bin gleich wieder da « , murmelte ich.
Derwent sagte noch etwas, das ich nicht verstand, weil in dem Moment die Tür zuknallte.
» Will bloß noch eine Karte dalassen « , rief ich über die Schulter, nahm zwei Stufen auf einmal und war in null Komma nichts zurück in der zweiten Etage. Ich hetzte die Galerie zu Forgraves Wohnung entlang und kritzelte im Gehen eine Nachricht. Bitten dringend um Rückruf. Es geht um Ihre Sicherheit. Wieder bellte der Hund, diesmal saß er auf der Fensterbank. Die Gardine hatte sich irgendwie um seinen Kopf gewickelt, sodass er aussah wie eine groteske Braut. Ein hellbraunes, struppiges Hündchen– nichts Besonderes, so wie er aussah–, also doch kein Jack-Russell-Terrier. Im Vorbeigehen streckte ich ihm die Zunge raus,
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