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Der Ungnädige

Der Ungnädige

Titel: Der Ungnädige Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jane Casey
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komme sofort nach. Muss nur schnell aufs Örtchen. «
    Mit einem leicht unbehaglichen Gefühl stieg ich aus. Wir waren nur zum Höflichkeitsbesuch hier, was hieß, dass wir weder mit Pfefferspray noch mit Teleskopschlagstöcken ausgerüstet waren.
    Wenigstens eine Stichschutzweste hätte ich allerdings schon gern angehabt, aber Derwent hatte nichts dergleichen vorgeschlagen, und ich hatte mich nicht so recht getraut. Der Wind hatte aufgefrischt– so früh im Jahr war er noch ganz schön kühl. Er blies durch meine Sachen und drückte mir die Bluse an den Körper, während ich auf den Wohnblock zuging. Es war, als sollte ich daran erinnert werden, wie schutzlos ich gerade war. Ich langte in meine Tasche, fühlte nach dem Funkgerät und schaute prüfend die Straße hinunter, ob ich etwas Ungewöhnliches entdecken konnte.
    In der Talavera Road hatten wir nichts erreicht, sondern lediglich erfahren, dass Merriman vor ein paar Monaten weggezogen war, ohne die Behörden zu informieren. Ein Minuspunkt für ihn, aber für uns ein Name weniger auf der Liste. Die Nachmieter waren Pakistani, ein junges Paar, das uns nach Kräften geholfen hatte, auch wenn ihnen keine Nachsendeadresse für Merriman bekannt war. Derwent hatte sie gewarnt und ihnen geraten, so vorsichtig wie möglich zu sein. Selbstverständlich war er bezüglich der Gründe nicht allzu sehr ins Detail gegangen. Diese Dinge brauchten sie nicht unbedingt zu wissen.
    Ein Fußgänger lief an mir vorbei– ein baumlanger Kerl, der von einem ausgesprochen eifrigen Labrador ausgeführt wurde. Er lächelte etwas atemlos im Vorübergehen, und ich hörte ihn noch keuchen, als er schon weitergegangen war, im Schlepptau seines unaufhaltsam vorwärtsstrebenden Hundes. Ich kam an einem weißen Transporter der British Telecom vorbei, der vor dem Wohnblock mit zwei Reifen auf dem Fußweg geparkt war. Von dem zugehörigen Techniker war weit und breit nichts zu sehen, und das Fahrzeug war abgeschlossen. Ein Auto kam so schnell vorbeigerast, dass ich zusammenzuckte– ein metallic-blauer Subaru mit so dunkel getönten Scheiben, dass ich den Fahrer nicht erkennen konnte– und mir, ohne darüber nachzudenken, das Kennzeichen einprägte.
    Die Haustür stand offen und war mit einem Keil festgeklemmt. So viel zum Thema Sicherheit. Vermutlich der Techniker, der bei irgendwem im Haus am Breitbandanschluss bastelte und natürlich viel zu sehr in Eile war, um sich die Zahlenkombination für die Tür einzuprägen. Dadurch war es ein Leichtes für mich, ins Haus zu kommen, doch ich betrat es mit pochendem Herzen und weit aufgerissenen Augen. Mit höchster Wachsamkeit lauschte ich auf Gefahrenzeichen. Durch die Haustür ging es in einen Flur, von dem aus Betonstufen zum nächsten Stockwerk führten. Ich reckte den Hals, um ins Treppenhaus hinaufzuspähen. Keinerlei Lebenszeichen. Zu den Wohnungstüren gelangte man über eine offene Galerie auf jeder Etage. Ich schaute nach rechts und links. Vor der einen Wohnung sah ich Blumentöpfe stehen und vor einer anderen ein angekettetes Fahrrad. Die Wohnungen wirkten anständig, wenn auch bescheiden. Mir fiel auf, dass es nirgends an den Wänden Graffiti gab, und das Treppenhaus wirkte makellos. Außerdem war das Bestattungsunternehmen nebenan sicher ein ziemlich ruhiger Nachbar, dachte ich. Vielleicht gar nicht mal so schlecht, hier zu wohnen. Aber kein besonders guter Ort zum Sterben.
    Mit unverändert mulmigem Gefühl machte ich mich daran, die Treppen nach oben zu steigen. Ich ging leise und bedächtig. Gerade als ich auf dem ersten Treppenabsatz angekommen war, hörte ich die Haustür zufallen. DI Derwent nahm immer zwei Stufen auf einmal, seine Schritte hallten durch das Treppenhaus, und als er um die Ecke bog und mich sah, drehte ich mich um und legte den Zeigefinger auf die Lippen.
    » Gibt’s was? « , fragte er leise, aber dennoch zuckte ich zusammen und schüttelte den Kopf. » Na, dann weiter. «
    Es war offenbar in Ordnung für ihn, dass ich voranging. Ich hätte mich freuen sollen, dass er mir die Führung überließ, aber– Feminismus hin oder her– ich hätte viel dafür gegeben, in diesem Augenblick hinter ihm zu bleiben. Unwillkürlich musste ich darüber nachdenken, wie gut feste Muskelfasern abfangen können, was beispielsweise eine Schrotflinte Schlimmes anrichten konnte.
    In der ersten Etage war nichts zu sehen. Die nächste Treppe stieg ich in zügigem Tempo hinauf– nicht so schnell, wie ich das sonst getan hätte, aber

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