Der Ungnädige
waren, Angriffe mit gezielter, präzise bemessener Gewalt abzuwehren.
Hier jedoch gab es offenbar keine Angriffe, auf die reagiert werden musste. Überraschend schnell kam der Kommandeur wieder zum Vorschein, lehnte sich über das Geländer der Galerie und signalisierte uns mit hochgehaltenem Daumen Erfolg, ehe er zum Funkgerät griff. Er forderte Rettungssanitäter an und mir krampfte sich der Magen zusammen, als ich über den Grund dafür nachdachte. Vielleicht hatte der Mörder sein Opfer ja diesmal allein sterben lassen wollen. Vielleicht hätte ich lieber versuchen sollen, in die Wohnung zu gelangen, statt Hilfe anzufordern. Mir blieb nicht viel Zeit, über Eventualitäten nachzudenken. Derwent verließ den Schutz des Fahrzeugs am Straßenrand, noch bevor ich mich auch nur aufgerichtet hatte, und verschwand mit einem Sprint durch die Eingangstür. Lancaster und ich folgten ihm auf dem Fuße. Wir rannten die Treppen hinauf, als in der Ferne die Sirenen aufheulten. An der Wohnungstür holten wir ihn ein, wo der Kommandeur gerade erläuterte, was vorgefallen war.
» Wir haben vier männliche Personen in der Wohnung, drei befinden sich in Haft und die vierte muss notärztlich behandelt werden. «
» Drei? « Derwents Ton war scharf.
Der Kommandeur nickte. » Noch keine Namen, das überlasse ich Ihnen. Keiner hat einen Ausweis bei sich. Zwei ältere Personen und ein jüngerer. Waren in der Küche im hinteren Teil der Wohnung, als wir reinkamen. «
» Bewaffnet? «
» Auf dem Boden neben dem Herd haben wir eine Handfeuerwaffe gefunden– eine Beretta M9. Sah aus, als hätte sie einer von ihnen fallen gelassen, als er uns gehört hat. Wollte nicht im Besitz einer Waffe angetroffen werden, nehme ich mal an. Haben keinen nennenswerten Widerstand geleistet. Einige unserer Leute hatten die Feuerleiter auf der Rückseite blockiert, und an der Tür standen auch genug Kräfte, um sie davon zu überzeugen, dass sie sich jede Hoffnung auf einen Fluchtweg abschminken können. Also, ich hab ja keine Ahnung, wer die sind und was sie auf dem Kerbholz haben, aber nach ihrer Reaktion zu urteilen, dürften das Profis sein. «
Ich musste unbedingt wissen, was mit William Forgrave los war. » Sie sagten, dass einer davon einen Notarzt braucht? «
» Wird sicher wegen Verbrennungen behandelt werden müssen, so wie’s aussieht. Ziemlich üble Sache. Mit ’nem Dampfbügeleisen. «
» Er wurde gefoltert? « Lancaster klang entsetzt, und mir fiel wieder ein, dass er ja wahrscheinlich noch gar nicht wusste, was wir hier gewollt hatten.
» Sieht ganz danach aus. War kein Spaß für ihn, würde ich mal sagen. «
Derwent war rastlos. » Ist die Wohnung freigegeben? Dürfen wir rein? «
» Nur zu. «
Ich folgte Derwent, vorbei an der zertrümmerten Eingangstür, die jemand an die Wand gelehnt hatte. Das Wohnzimmer zur Rechten– das Zimmer, in das ich hineingelugt hatte, war vollgestopft mit Leuten: Vier der bewaffneten Beamten bewachten die drei mit Handschellen gefesselten Verdächtigen. Zwei davon saßen auf dem Sofa, während der dritte– ein magerer, stark gebräunter Mann mittleren Alters– sich mit geschlossenen Augen in einem Sessel zurückgelehnt hatte. Derwent hielt nur kurz inne, und ich hatte gerade genug Zeit für einen flüchtigen Blick in das Zimmer, ehe wir am Schlafzimmer vorbei zur Küche weiterhasteten. Darin fanden wir mehrere Beamte vor, die einem am Boden liegenden Mann ganz elementare erste Hilfe leisteten. Seine Gliedmaßen zitterten, als stünde er unter Strom. William Forgrave, vermutete ich. Er war klein und dickbäuchig, so als ob er außer dem Treppensteigen zu seiner Wohnung kaum Bewegung hatte. Er trug nichts außer einer Jeans, wodurch die bösen, dreieckig geformten Verbrennungen, die seinen Oberkörper bedeckten, umso offensichtlicher waren. Seine Fußsohlen waren mit lauter kleinen Blasen übersät. Es würde lange dauern, bis er wieder schmerzfrei würde laufen können, und einige Zeit, bis er sich im Spiegel wiedererkennen würde, denn sein Gesicht sah dramatisch aus unter dem dichten schwarzen Bart. Trotz der beträchtlichen Schwellung konnte ich erkennen, dass sie ihm die Nase gebrochen hatten. Seine Schneidezähne waren abgesplittert, und sein Mund stand offen, als wäre auch sein Unterkiefer verletzt. Auf dem Küchenfußboden sah ich an mehreren Stellen Blutstropfen. Auf dem Tisch stand von mir abgewandt ein Dampfbügeleisen. Wie ich sehen konnte, hatte es noch niemand ausgeschaltet. Die
Weitere Kostenlose Bücher