Der Ungnädige
überlassen, die ganze Aktion abblasen oder ihn aus seiner misslichen Lage befreien. Die anderen Geiseln hörten, wie sie Skinner am Telefon um Rat fragten, und waren auch bereit, als Zeugen gegen ihn auszusagen. «
» Ich dachte, es hat sich nie jemand gefunden, der John Skinner belasten wollte? «
Godley nickte. » Das war auch eine Ausnahme. Die Familie war außer sich vor Zorn und wollte ihn auf keinen Fall ungestraft davonkommen lassen. Der junge Mann überlebte zwar, blieb aber gelähmt. Ich nehme an, dass bei ihrer Entscheidung auch Schuldgefühle eine Rolle gespielt haben. Außerdem haben wir die Zeugen sicher untergebracht, noch ehe jemand von Skinners Leuten auch nur daran denken konnte, sie zum Schweigen zu bringen. Wir konnten ihm also das volle Programm nachweisen: Geiselnahme, bewaffneter Überfall, Mord. Der einzige Ausweg für ihn war Flucht, und genau das hat er getan. «
» Mit falschen Papieren? «
» Mit einer Privatjacht. So und mit kofferweise Geld und Schmuck und einem Adressbuch voller wertvoller Kontakte ist er davongeschippert. Schon im Vorfeld hatte er sich für den Notfall eine Villa an der Costa del Sol zugelegt. Er ist vorausschauend. Genau das macht ihn so gefährlich. «
» Und warum ist er dann zurückgekommen? Offenbar ging es ihm doch prima in Spanien. «
Godley rutschte auf seinem Stuhl herum und wirkte plötzlich nervös. » Ist ihm diesmal wohl kaum zu verdenken. Als er sich abgesetzt hat, war seine Frau nicht bereit mitzukommen. Sie haben eine Tochter, Cheyenne, und Gayle wollte nicht, dass sie in Spanien aufwächst. Skinner musste sich wohl oder übel damit abfinden, sie hier zurückzulassen. In den Ferien haben sie ihn immer besucht, der Kontakt ist nie abgerissen. Er hat sie in einem netten Häuschen in Hertfordshire untergebracht, Cheyenne geht auf eine Privatschule und bekommt Tennis- und Reitunterricht– da bleiben keine Wünsche offen. « Godley nahm seinen Kaffee und trank einen Schluck, als wollte er Zeit gewinnen. Derwent übernahm wieder das Wort.
» Vor fünf Tagen ist Cheyenne Skinner verschwunden. Nach Aussagen ihrer Freundinnen hatte sie jemand, den sie nur aus dem Internet kannte, zu einer Privatparty in Brixton eingeladen. Die fand in einem leer stehenden Lagerhaus statt, wo ein improvisierter Nachtclub eingerichtet wurde. Tanz und Rausch für eine Nacht, stand in der Einladung. Sie ist allein hingegangen, was natürlich dumm von ihr war. Seitdem ist sie verschwunden. «
Mein Hirn arbeitete auf Hochtouren. » Gab es diesen Nachtclub denn wirklich? «
Derwent nickte. » Wir konnten die Organisatoren ausfindig machen, die sich an Cheyenne aber leider nicht erinnern konnten. Allerdings waren auch mehrere hundert Gäste da. Das war so eine Mundpropaganda-Geschichte– sie haben 50 Leute eingeladen und sie aufgefordert, ihre coolsten Freunde mitzubringen. Alle sollten Masken tragen. « Er schnaubte verächtlich. » Vielleicht werd ich ja alt, aber ich kapier nicht, was daran so toll sein soll, eine ganze Nacht in einem finsteren, verdreckten Lagerraum zuzubringen und sich mit lauter maskierten Idioten die Kante zu geben. «
» Ich auch nicht « , sagte ich abwesend und dachte über seine Schilderung nach. » Also lässt sich gar nicht feststellen, ob sie tatsächlich auf der Party war. «
» Jedenfalls hat sie per Status-Update bei Facebook davon berichtet. Das war um zehn vor zehn, und danach hat keiner mehr was von ihr gehört. Die zuständigen Kollegen waren dran, konnten aber nichts ermitteln– keine Zeugen, keine persönlichen Gegenstände, auch nicht ihr Handy. «
» Dann ist sie in Brixton also spurlos verschwunden. «
Derwent grinste mich an. » Genauso ist es. Sie haben’s erfasst. Skinner war nicht begeistert über das, was er von Gayle über die Ermittlungen gehört hatte. Deshalb beschloss er, die Sache selbst in die Hand zu nehmen. Dabei ging er ganz systematisch vor. Erstens: eine Liste von möglichen Verdächtigen zusammenstellen. Zweitens: bei ihnen vorbeischauen und sie fertigmachen, bis man die Nase voll hat und sie von ihrem Elend erlöst. «
» Aber er hatte es ausschließlich auf Pädophile abgesehen. « Mein Hirn arbeitete nur noch halb so schnell, als ich darum rang zu begreifen, was er mir da eigentlich erzählte. Vielleicht hatte ich ja doch eine Gehirnerschütterung. » Wie alt ist Cheyenne? «
» 14 « , antwortete Godley finster. » So alt wie meine Tochter. «
Allmählich dämmerte mir, was Godley so aus der Fassung
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