Der unheimliche Kommissar Morry
sie den Mordanschlag auf Constance in einer Art Panik zu vergelten versucht hatte?
Was immer auch der Fall sein mochte: jetzt kam es darauf an, schnellstens die Flucht zu ergreifen. Er durfte hier nicht gesehen werden. Ashton betrat den Balkon. Er ließ seine Blicke über das dunkle Gartengrundstück schweifen und fragte sich, ob in irgendeinem der düsteren Schatten Sir Macolms Mörder lauern mochte.
Unsinn. Der Täter hatte keinen Grund, sich noch länger hier aufzuhalten. Ashton kletterte an der Hauswand nach unten. Wenig später verließ er das Grundstück. Eine Viertelstunde nach der Entdeckung des Toten hatte er sein Zimmer erreicht.
Sorgfältig bürstete er zunächst seinen Azug aus, an dem Spuren des schmutzigen Mauerwerkes haftengeblieben waren. Er hing den Anzug in den Schrank, nahm ein Bad und legte sich dann ins Bett. Das Radio spielte noch immer. Ashton fragte sich, ob der Butler wohl in der Zwischenzeit hier oben gewesen sein mochte. Er drückte auf die Klingel. Harvey erschien nur eine halbe Minute später.
„Bringen Sie mir einen Whisky, bitte", sagte Ashton. „Mit Soda und Eis. Täusche ich mich, oder hat vorhin das Telefon in der Halle geklingelt?"
Harvey sah erstaunt aus. „Das Telefon, Sir? Das halte ich für ausgeschlossen. Ich habe die ganze Zeit im Salon gesessen und mir erlaubt, das Fernsehprogramm
anzuschauen. Die Tür zur Halle war offen. Ich hätte das Klingeln bestimmt nicht überhört."
Ashton sagte: „Mit Soda und Eis. Täusche ich mich, „Dann habe ich mich wohl getäuscht. Bringen Sie mir jetzt den Whisky, bitte."
Nachdem der Butler gegangen war, versuchte Ashton Ordnung in seine Gedanken zu bringen. Soweit er es zu übersehen und zu beurteilen vermochte, war Sir Macolm der Mann, der den brutalen Mordanschlag auf Constance verübt hatte. Aber wessen Opfer war er nur wenige Stunden später geworden? Hatte Britta dabei die Hand im Spiel gehabt?
Nein, das erschien unglaubwürdig. Britte wußte unter Umständen noch gar nicht, was der Schwester widerfahren war. Sie hatte also nicht die geringste Ursache, Macolm zu töten. Im übrigen war es höchst unwahrscheinlich, daß die kühle, sachliche Britta Britton wegen des Anschlages auf Constance zur Mörderin geworden wäre. Aber wer war der Täter? Ashton überlegte. Sir Macolm war ein Erpresser; er besaß Feinde. Einer von ihnen hatte ihn getötet. Das war die einzige Erklärung. Es mußte durchaus kein Zusammenhang zwischen seinem Tod und dem Mordanschlag auf Constance bestehen. Wichtig war nur eins: er war tot.
Ashton lächelte düster. Sein gefährlichster Gegner war erledigt. Der Weg zu einer hoffentlich bald genesenden Constance schien frei . . . Das wog sogar den Umstand auf, daß er jetzt sicher gezwungen war, die von Macolm erpreßten zwanzigtausend Pfund abzuschreiben.
Ashton hatte einen unangenehmen Geschmack im Mund, als er daran dachte, womit Macolm im Falle seines gewaltsamen Todes gedroht hatte. Aber, so tröstete sich Ashton, er hatte die Geschichte mit dem Notar ja später selbst als Bluff und Erfindung hingestellt. Das schloß freilich nicht aus, daß die Polizei bei der Morduntersuchung im Hause Macolms auf die belastenden Fotos stoßen würde . . .
Ashton merkte, wie ihm bei diesem Gedanken kalter Schweiß auf die Stirn trat.
Die Fotos. Wie hatte er sie nur vergessen können? Er mußte sie in seinen Besitz bringen, noch ehe die Polizei den Mord entdeckte und mit ihren Routinenachforschungen begann. Aber wie sollte er das anstellen? Es war mit Sicherheit anzunehmen, daß Sir Macolm das Film- und Bildmaterial gut versteckt hatte. Möglicherweise befanden sich die Fotos sogar außerhalb der Wohnung. Ashton bezweifelte, daß der Butler eingeweiht war. Sir Macolm war der typische Einzelgänger gewesen.
Es klopfte. Der Butler brachte auf einem Tablett den Whisky. Ashton bedankte sich und führte das Glas an die Lippen.
Harvey räusperte sich. „Sie sehen blaß aus, wenn ich mir die Bemerkung gestatten darf", meinte er besorgt.
Ashton erwiderte: „Ich hatte ein scheußliches Erlebnis. Sie werden von dem Ereignis in den Morgenzeitungen lesen. Constance Britton, eine gute Bekannte, wurde das Opfer eines scheußlichen Anschlages."
„Oh, das bedaure ich tief, Sir."
Ashton nahm einen weiteren Schluck. Über den Rand des Glases hinweg betrachtete er seinen Butler. Zum ersten Male ging ihm auf, daß er wenig oder gar nichts von Harvey wußte. Welche Gefühle oder Vorstellungen mochten sich hinter der Maske des
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