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Der Unheimliche Weg

Der Unheimliche Weg

Titel: Der Unheimliche Weg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Agatha Christie
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Woche verflossen war, begann sie ihre Lebensweise hier als ganz natürlich zu empfinden. Es war eine merkwürdige, traumhafte Existenz. Nichts schien Wirklichkeit zu besitzen, aber schon hatte sich ihrer das Gefühl bemächtigt, dass dieser Traum bereits endlos lang währte und noch länger währen würde. Vielleicht dauerte es ewig… vielleicht würde sie immer hier bleiben; dies war das eigentliche Leben, und außerhalb der Gemeinschaft war das Nichts.
    Diese gefährliche Anpassungsfähigkeit hatte, wie sie meinte, ihren Grund darin, dass sie eine Frau war. Frauen waren von Natur aus sehr anpassungsfähig. Es war zugleich ihre Stärke und ihre Schwäche. Man prüft seine Umgebung, passt sich ihr an und sucht das Beste daraus zu machen. Am meisten interessierte sie sich für den Eindruck, den dies alles auf diejenigen machte, die mit ihr gekommen waren.
    Helga Needheim sah sie kaum, außer zu den Mahlzeiten. Wenn sie sich trafen, so wurde sie von der Deutschen nur mit einem flüchtigen Nicken begrüßt. Zu mehr ließ sie sich nie herab. Sie war sichtlich zufrieden. Die Gemeinschaft entsprach offenbar genau der Vorstellung, die sie sich von ihr gemacht hatte. Sie gehörte zu den Frauen, die ganz in ihrer Arbeit aufgehen, und wurde darin durch beruflichen Ehrgeiz unterstützt. Ihre und ihrer wissenschaftlichen Kollegen Überlegenheit verlieh ihr Sicherheit. Sie kümmerte sich nicht um die Verbrüderung der Menschheit, nicht um den Weltfrieden, nicht um die Freiheit des Geistes. Ihre Vorstellungen von der Zukunft waren glasklar: Sie dachte nur an die Eroberung der Welt, die durch die Übermenschen, zu denen auch sie gehörte, zu erfolgen hatte. Die übrige Menschheit hatte sich ihnen unterzuordnen und wurde, wenn sie sich richtig verhielt, mit der herablassenden Güte der Herrschenden behandelt. Dass ihre Mitarbeiter anderen Ansichten huldigten, dass sie ihrer Einstellung nach mehr dem Kommunismus als dem Faschismus angehörten, darum kümmerte sich Helga Needheim wenig. Leisteten sie gute Arbeit, so waren sie an ihrem Platz und würden sich mit der Zeit schon bekehren lassen.
    Dr. Barron war intelligenter als Helga Needheim. Zuweilen unterhielt sich Sylvia mit ihm. Er schien ganz in seiner Arbeit aufzugehen und einverstanden mit den Bedingungen zu sein, unter denen er arbeiten konnte, aber seine französische Skepsis ließ ihn doch nicht alles ohne Kritik hinnehmen.
    »Es ist nicht alles ganz so, wie ich erwartet habe. Nein, offen gestanden, nicht«, bekannte er eines Tages. »Unter uns gesagt, Mrs Betterton, ich schwärme nicht für ein Leben in der Gefangenschaft. Und wir befinden uns tatsächlich in Gefangenschaft, wenn wir auch sozusagen in einem goldenen Käfig sitzen.«
    »So haben Sie hier nicht die Freiheit gefunden, die Sie suchten?«, fragte Sylvia.
    Er lächelte undurchsichtig.
    »Sie sind auf der falschen Spur. Ich habe in Wirklichkeit gar nicht die Freiheit gesucht. Ich bin ein zivilisierter Mensch – und zivilisierte Menschen wissen, dass es absolute Freiheit nicht gibt. Nur die jungen und die primitiven Völker schreiben das Wort ›Freiheit‹ auf ihre Fahnen. Man muss immer auf seine Sicherheit bedacht sein. Und der Höhepunkt der Zivilisation besteht in einem geruhsamen Leben. Nein, ich will aufrichtig gegen Sie sein. Ich kam des Geldes wegen hierher.«
    Jetzt musste Sylvia lächeln. Sie zog die Augenbrauen in die Höhe.
    »Was wollen Sie denn hier mit Geld anfangen?«
    »Damit kann man ein sehr kostspieliges Labor einrichten«, sagte Dr. Barron. »Ich brauche nicht in meine eigene Tasche zu greifen, und so kann ich der Wissenschaft dienen und gleichzeitig meine persönliche Neugierde befriedigen. Ich liebe meine Arbeit, das ist wahr, aber ich liebe sie nicht um des Heils der Menschheit willen. Ich habe oft gefunden, dass diejenigen, die so denken, irgendwie beschränkt sind und im Grunde nichts von Bedeutung leisten. Nein, ich schätze nur die Freude an der wissenschaftlichen Forschung. Übrigens wurde mir eine große Summe Geldes ausbezahlt, bevor ich Frankreich verließ. Es ist unter anderem Namen sicher angelegt, und wenn dies hier zusammengebrochen ist, so kann ich daheim sorglos weiterarbeiten.«
    »Wenn dies alles hier zusammengebrochen ist?«, wiederholte Sylvia überrascht. »Aber warum sollte es denn zusammenbrechen?«
    »Man muss die Sache einmal nüchtern betrachten«, sagte Dr. Barron. »Nichts währt ewig, nichts ist von Dauer. Ich bin zu der Ansicht gekommen, dass dieses Projekt hier

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