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Der Unheimliche Weg

Der Unheimliche Weg

Titel: Der Unheimliche Weg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Agatha Christie
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er meinte. Dann wurde ihr klar, dass er annahm, sie würde nicht ohne Betterton fliehen wollen. Sie war hierher gekommen, um mit dem Mann, den sie liebte, zusammen zu sein. Und da sie diesen Zweck erreicht hatte, so konnte ihr persönliches Verlangen nach einem Entkommen aus der Niederlassung nicht so stark sein. Beinahe wäre sie versucht gewesen, Peters die Wahrheit zu sagen – aber ihr Instinkt warnte sie davor.
    So wünschte sie Peters eine gute Nacht und verließ den Dachgarten.

16
     
    » G uten Abend, Mrs Betterton.«
    »Guten Abend, Miss Jennson.«
    Das magere, bebrillte Mädchen sah sehr aufgeregt aus. Ihre Augen funkelten hinter den dicken Gläsern.
    »Heute Abend werden wir ein Meeting veranstalten«, sagte sie. »Der Direktor höchstpersönlich wird eine Ansprache halten.«
    »Das ist gut«, sagte Peters, der in der Nähe stand. »Ich warte schon lange darauf, dass ich diesen Direktor einmal in Augenschein nehmen kann.«
    Miss Jennson warf ihm einen erschrockenen und vorwurfsvollen Blick zu.
    »Der Direktor«, sagte sie beflissen, »ist ein wunderbarer Mensch.«
    Als sie in einem der weißen Korridore verschwunden war, stieß Peters einen leisen Pfiff aus.
    »Riecht das nicht beinahe nach Führerkult?«
    »Ja, so hat es beinahe geklungen.«
    »Das Unangenehme an dieser Existenz hier ist, dass man nie weiß, wie der Hase läuft. Wenn ich, als ich die Vereinigten Staaten voll jugendlicher Begeisterung für die menschliche Verbrüderung verließ, geahnt hätte, dass ich in die Klauen eines zweiten gottähnlichen Diktators geraten würde – « Er hob die Hände zum Himmel auf.
    »Vorläufig ist das ja noch gar nicht bewiesen«, beruhigte ihn Sylvia.
    »Aber ich rieche es – hier ist was faul«, sagte Peters.
    »Ich bin richtig froh, dass Sie auch hier sind.« Sylvia errötete heftig, als er sie erstaunt ansah. »Weil Sie so nett und normal sind«, fügte sie in größter Verlegenheit hinzu.
    Peters machte ein amüsiertes Gesicht. »Da, wo ich herkomme«, sagte er, »hat das Wort normal eine andere Bedeutung. Man meint damit, dass jemand nicht wahnsinnig ist.«
    »So habe ich es nicht gemeint. Ich wollte nur sagen, dass Sie sind wie jedermann. Ach Gott, das klingt auch wieder sehr unhöflich. Wer ist schon gern wie jedermann!«
    »Der Normalmensch, das ist’s, was Sie meinen, nicht wahr? Sie haben offenbar genug von den genialen Menschen.«
    »Ja. Und Sie haben sich auch verändert, seitdem Sie hier sind. Sie wirken nicht mehr so bitter – und voll Hass.«
    Doch mit einmal verzerrte sich sein Gesicht.
    »Der Eindruck täuscht vielleicht«, sagte er, »dieser Hass ist immer noch da – er glimmt im Verborgenen weiter. Es gibt Dinge, die man einfach hassen muss.«
     
    Das Meeting, das Miss Jennson angekündigt hatte, fand nach dem Dinner statt. Alle Mitglieder der Gemeinschaft versammelten sich im großen Vortragssaal. Jedoch waren die so genannten technischen Kräfte ausgeschlossen. Die Laborgehilfen, das Küchenpersonal samt den Serviermädchen und auch die hübschen Prostituierten, die denjenigen Männern zur Verfügung gestellt wurden, die keine Frau bei sich hatten. Neben Betterton sitzend, wartete Sylvia gespannt auf die Ankunft der beinahe legendären Gestalt des Direktors. Auf ihre Fragen nach dem Mann, der die Kolonie leitete, hatte ihr Betterton immer nur ganz unbestimmte Auskunft erteilt.
    »Er ist keine auffallende Erscheinung«, hatte er gesagt, »aber er verfügt über große Überzeugungskraft. Ich habe ihn nur zweimal gesehen. Er zeigt sich nicht oft. Er ist eine starke Persönlichkeit, man fühlt es, aber ehrlich gesagt, ich weiß nicht, warum.«
    Infolge des ehrfurchtsvollen Tones, in dem Miss Jennson und die anderen Frauen von diesem Mann gesprochen hatten, war in Sylvia die Vorstellung von einem großen alten Mann mit lang herabwallendem Bart in weißen Gewändern entstanden, eine Art Gottvater. Sie war daher sehr verblüfft, als ein dunkler, untersetzter Mann in mittleren Jahren die Rednertribüne bestieg. Die Versammelten hatten sich bei seinem Eintreffen erhoben. Seine Erscheinung wirkte durchaus alltäglich, und man hätte ihn ohne Weiteres für einen soignierten Geschäftsmann halten können. Seine Nationalität war nicht erkennbar. Abwechselnd bediente er sich dreier Sprachen, des Englischen, des Französischen und des Deutschen, mit derselben Gewandtheit, ohne sich jemals zu wiederholen oder zu stocken.
    »Vor allen Dingen«, begann er, »möchte ich unsere neuen Mitarbeiter

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