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Der Unheimliche Weg

Der Unheimliche Weg

Titel: Der Unheimliche Weg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Agatha Christie
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breite, niedere Ruhebetten, grazile Mokkatischchen; das Ganze umrahmt von wundervollen Wandteppichen in leuchtenden Farben. Auf einem niedrigen Diwan saß ein Mann, den Sylvia verblüfft anstarrte.
    Es war Monsieur Aristides, und er lächelte…

18
     
    » N ehmen Sie Platz, chère Madame«, sagte er. Er winkte ihr mit seiner kleinen, klauenartigen Hand. Wie im Traum folgte Sylvia dem Wink und ließ sich auf einem Diwan nieder, der ihm gegenüberstand. Er lachte leise.
    »Das ist eine Überraschung, nicht wahr? Das haben Sie nicht erwartet?«
    »Nein«, antwortete Sylvia, »allerdings nicht. Ich – «
    Aber schon begann ihre Überraschung abzuflauen. Beim Anblick von Monsieur Aristides stürzte die seltsame Traumwelt zusammen, in der sie die vergangenen Wochen gelebt hatte. Sie wusste nun, dass die ganze »Gemeinschaft« ihr unwirklich vorgekommen war, weil sie in Wirklichkeit nicht bestand. Sie war nicht das, was sie scheinen wollte. Auch jener Direktor mit seiner berückenden Stimme war nur eine Theaterfigur, mit der man Illusionen vermitteln wollte. Die Wahrheit war hier in diesem morgenländisch aufgeputzten Zimmer. Sie war dieser alte Mann, der vor sich hinlachte. Wenn Monsieur Aristides der Mittelpunkt dieser Welt war – dann war es eine durchaus praktische, zweckvolle, illusionslose Welt.
    »Jetzt verstehe ich alles«, sagte Sylvia, »es ist Ihr Werk?«
    »Ja, Madame.«
    »Und der Direktor? Dieser so genannte Direktor?«
    »Er ist sehr tüchtig«, erwiderte Monsieur Aristides anerkennend, »deshalb bezahle ich ihm auch ein hohes Gehalt. Er hat früher okkultistische Versammlungen geleitet.«
    Er schwieg einen Augenblick nachdenklich und rauchte.
    Auch Sylvia schwieg erwartungsvoll.
    »Neben Ihnen, Madame, auf dem Tischchen da, sind einige türkische Spezialitäten und auch andere Leckereien, falls Ihnen diese lieber sind.«
    Wieder trat Schweigen ein. Dann fuhr er fort:
    »Ich bin ein Menschenfreund, Madame. Wie Sie wissen, bin ich sehr reich – einer der reichsten, vielleicht der reichste Mann der Welt. Mit meinen Mitteln möchte ich der Menschheit dienen. Hier, an diesem weltverlorenen Fleck, habe ich eine Leprakolonie angelegt und lasse Heilversuche in weitestem Ausmaß mit den Kranken anstellen. Gewisse Formen des Aussatzes sind heilbar. Andere haben sich als unheilbar erwiesen. Aber wir arbeiten weiter und erzielen gute Resultate. Der Aussatz ist kein so leicht übertragbares Übel, wie man immer meint. Er ist nicht halb so ansteckend und gefährlich wie zum Beispiel Pocken oder Typhus. Und doch, wenn man zu den Leuten sagt, ›eine Leprakolonie‹, so läuft ihnen eine Gänsehaut über den Rücken. Es ist eine alte Furcht. Sie findet sich schon in der Bibel, und sie hat sich durch Jahrtausende gut gehalten, diese Angst vor dem Aussatz. Ich hielt es darum für zweckmäßig, diese Leprastation hier zu errichten.«
    »Sie haben sie aus den angegebenen Gründen errichtet?«
    »Ja. Wir haben aber auch eine Abteilung für Krebsforschung, und auch auf dem Gebiet der Tuberkulose ist schon Bedeutendes geleistet worden. Ferner gibt es eine Abteilung zur Erforschung der Krankheitserreger – natürlich nur zu Heilzwecken, an Kriegszwecke wird dabei nicht gedacht. Alles zu humanen Zwecken, die mir sehr zur Ehre gereichen. Bekannte Physiker, Chirurgen, Chemiker reisen hierher und unterrichten sich über unsere Forschungsergebnisse, so wie es auch heute der Fall war. Das Gebäude ist so scharfsinnig konstruiert, dass ein Teil davon vollkommen abgeschlossen ist und nicht einmal aus der Luft wahrgenommen werden kann. Die geheimsten Laboratorien sind direkt in den Felsen eingebaut. Jedenfalls bin ich vor Schnüfflern sicher.« Er lächelte und sagte einfach: »Wissen Sie, ich kann es mir leisten.«
    »Aber«, fragte Sylvia, »warum dann dieser Drang zur Zerstörung?«
    »Aber Madame! Ich fühle durchaus keinen Drang zur Zerstörung in mir. Sie tun mir unrecht, Gnädigste!«
    »Dann verstehe ich das alles nicht.«
    »Ich bin ein Geschäftsmann«, antwortete Aristides, »und außerdem bin ich noch Sammler. Wenn man den Reichtum als Last empfindet, so gewähren solche Dinge die einzige Erleichterung. Ich habe vieles gesammelt. Gemälde zum Beispiel – ich besitze die wertvollste private Gemäldesammlung in ganz Europa. Auch gewisse Arten von Keramik sammle ich und außerdem noch Briefmarken. Meine Briefmarkensammlung ist berühmt. Wenn die eine Sammlung so gut wie vollständig ist, so geht man zur nächsten über. Ich

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