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Der unmoegliche Mensch

Der unmoegliche Mensch

Titel: Der unmoegliche Mensch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J. G. Ballard
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Brustkorbes.
     Als ich wegging, stieß ein Möwenschwarm vom Himmel herab. Die Vögel ließen sich auf dem verschmierten Strand nieder und pickten unter wildem Gekreisch in den Sand.
     Einige Monate danach, als die Nachricht von seiner Ankunft schon fast vergessen war, begannen verschiedene Teile des zerlegten Riesen überall in der Stadt aufzutauchen. Die meisten waren Knochen, die für die Düngemittelfabrikanten zu schwer zu mahlen gewesen waren, und an den riesigen Sehnen und den Knorpelscheiben, die noch an den Gelenken saßen, war ihre Herkunft sofort zu erkennen. Irgendwie schienen diese herausgelösten Teile die ursprüngliche Großartigkeit besser zu veranschaulichen als die aufgedunsenen Gliedmaßen, die dann amputiert wurden. Als ich vor den Gebäuden des größten Fleischgroßhändlers der Stadt stand, erkannte ich die beiden enormen Oberschenkelknochen zu beiden Seiten des Eingangs. Sie ragten über die Köpfe der Fleischpacker hinaus wie die drohenden Megalithe einer primitiven Druidenreligion, und mir kam plötzlich die Vorstellung, der Riese könnte sich auf diesen nackten Knochen aufrichten und auf den Knien durch die Straßen der Stadt rutschen, um die verstreuten Teile seines Körpers zusammenzusuchen.
     Einige Tage danach sah ich den linken Oberarmknochen am Eingang zu einer Schiffswerft liegen. (Sein Gegenstück lag jahrelang im Hafenschlamm zwischen den Pfählen unter dem größten Lagerschuppen.) In derselben Woche wurde die einbalsamierte rechte Hand beim großen Jahresfest der Handwerksinnungen auf einem Festwagen zur Schau gestellt.
     Der Unterkiefer fand, typischerweise, den Weg ins Naturkundemuseum. Der Rest des Schädels ist verschwunden, liegt aber vielleicht noch auf irgendeinem Schuttplatz oder in einem Privatgarten der Stadt – erst vor kurzem entdeckte ich bei einer Segelpartie auf dem Fluß zwei Rippen, die einen dekorativen Torbogen zu einem am Ufer liegenden Garten bildeten. Möglicherweise hielt man sie irrtümlich für Kieferknochen eines Wales. Ein viereckiges Stück gegerbter und tätowierter Haut, so groß wie eine Indianerdecke, hängt als Hintergrund für die Puppen und Masken im Neuheitenladen beim Vergnügungspark, und ich würde mich gar nicht wundern, wenn sonstwo in der Stadt, in den Hotels oder bei einem Golfklub die einbalsamierte Nase oder eine Ohrmuschel des Riesen als Wandschmuck über dem Kamin hängen sollte. Der immense Penis zum Beispiel endete im Kuriositätenkabinett eines Zirkusunternehmens, das den Nordwesten der Staaten bereist. Dieser gewaltige Apparat, überwältigend in seiner Größe und seiner einstmaligen Potenz, braucht ein ganzes Zelt für sich allein. Das Ironische an der Sache ist, daß er fälschlich als der eines Wales ausgegeben wird, und tatsächlich haben die meisten Leute, sogar diejenigen, die ihn selbst sahen, als er nach dem Sturm angetrieben wurde, den Riesen, wenn überhaupt, nur noch als ein großes Meerestier in Erinnerung.
     Der Rest des Skeletts, von dem alles Fleisch entfernt ist, liegt immer noch am Strand. Das Gewirr von gebleichten Rippen sieht aus wie die Spannen eines gestrandeten Schiffes. Die Baubude, der Kran und das Gerüst sind weggeholt worden, und der in der Bucht abgelagerte Treibsand hat die Beckenknochen und das Rückgrat begraben. Im Winter sind die hohen, bogenförmigen Knochen verlassen, und nur die brechenden Wellen schlagen dagegen, aber im Sommer bieten sie ausgezeichnete Sitzplätze für die müden Möwen.

Das Delta bei Sonnenuntergang

    »Die erinnern mich an Säue«, bemerkte Mildred Pelham. Roger Pelham, der das Gewühl am Strand unter der Kaffeeterrasse beobachtet hatte, sah seine Frau an. »Wieso das?«
     Mildred las noch einen Augenblick weiter und ließ dann ihr Buch sinken. »Nun, tun sie das nicht?« fragte sie. »Sie sehen doch aus wie Schweine.«
     Pelhams Mund verzog sich zu einem Lächeln. Er warf einen Blick auf seine eigenen weißen Knie, die aus den Shorts herausschauten, und auf die prallen Arme und Schultern seiner Frau. »Ich nehme an, das tun wir alle«, sagte er begütigend. Die Wahrscheinlichkeit, daß jemand Mildreds Bemerkung gehört und übelgenommen haben könnte, war jedoch nicht groß. Sie saßen an einem Ecktisch und drehten den Hunderten von Eisessern und Colatrinkern, die Ellbogen an Ellbogen auf der Terrasse hockten, den Rücken zu. Über dem brummelnden Stimmengewirr hörte man die endlosen Kommentare aus Transistorradios und den fernen Lärm vom Vergnügungspark

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