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Der unmoegliche Mensch

Der unmoegliche Mensch

Titel: Der unmoegliche Mensch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J. G. Ballard
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Gifford.
     »Richard? Ja.« Louise zögerte. »Wir kommen zum Mittagessen zurück. Dann wechsle ich deinen Verband.«
     Als sie aus seinem Gesichtskreis verschwand, hob Gifford das Kinn ein wenig, um die vom Morgendunst verhüllten Ufer abzusuchen. Die von der Sonne gebackenen Schlickbänke schimmerten wie heißer Beton, und nur ein dünnes, schwarzes Rinnsal floß träge durch die Graben. Hier und da erhoben sich kleine Inseln von fünfzig Meter Durchmesser, wie perfekte Halbkugeln geformt, über den Grund der Kanäle und gaben der Landschaft eine merkwürdige, geometrische Starre. Die ganze Gegend blieb vollkommen reglos, aber Gifford lag geduldig in seinem Korbstuhl und wartete auf das Auftauchen der Schlangen.

    Als er sah, daß Mechippe ihm das Mittagessen brachte, wußte er, daß Lowry und Louise nicht von der Arbeitsstelle zurückgekommen waren.
     Er schob die Suppenschüssel beiseite. »Bring mir Whisky mit Soda, einen doppelten!« Er sah den Indianer scharf an. »Wo ist Mrs. Gifford?«
     Mechippe stellte die Suppenschüssel wieder auf das Tablett. »Misses Gifford bald kommen, Sir. Sonne sehr heiß, sie warten bis Nachmittag.«
     Gifford lehnte sich für einen Augenblick zurück und dachte an Louise und Lowry. Die Vorstellung, daß sie zusammen waren, rührte an seinen letzten Rest von Gefühl. Dann versuchte er mit der Hand den Dunst wegzuwischen.
     »Was war das…?«
     »Sir?«
     »Verdammt, ich meinte, ich sah eine.« Er schüttelte langsam den Kopf, als die weiße Form, die er flüchtig wahrgenommen hatte, zwischen den opalisierenden Schlickbänken verschwand. »Doch noch zu früh. Wo ist der Whisky?«
     »Kommen, Sir.«
     Ein wenig keuchend von der Anstrengung, die es ihn kostete, sich aufzurichten, sah sich Gifford unruhig zwischen den Zelten um. Schräg hinter sich sah er, als er die Augen auf die größere Entfernung einstellte, die langen Rücken der Toltekenstadt liegen. Irgendwo in den spiraligen Galerien und Gängen waren Louise und Richard Lowry. Von einer der hohen Terrassen über die alluviale Bank gesehen, würde das ferne Lager wie ein Häufchen ausgebleichte Spelzen aussehen, bewacht von einem Toten in einem Liegestuhl.

    »Liebster, es tut mir schrecklich leid. Wir wollten rechtzeitig zurück sein, aber ich habe mir den Fuß verrenkt«, Louise Gifford lachte leichthin dabei, »ähnlich wie du, wenn ich mir’s jetzt überlege. Vielleicht kann ich mich in ein, zwei Tagen hier neben dich legen. Ich bin so froh, daß Mechippe sich um dich gekümmert und den Verband gewechselt hat. Wie fühlst du dich? Du siehst viel besser aus.«
     Gifford nickte schläfrig. Das Nachmittagsfieber war vorbei, aber er fühlte sich leer und erschöpft. Daß er das Geplapper seiner Frau wahrnahm, war nur dem Whisky zuzuschreiben, den er den ganzen Tag über langsam getrunken hatte. »Es war ein Tag im Zoo«, sagte er und fügte mit trockenem Humor hinzu: »Im Reptiliengehege.«
     »Du und deine Schlangen, Charles, du bist zum Schießen.« Louise schritt um den Liegestuhl herum, dort wo der Wind von dem Hügel hinwehte. Dann zog sie sich auf die Luvseite zurück. Sie winkte Richard Lowry, der gerade einige Tabletts mit Fundstücken in sein Zelt trug. »Dick, ich schlage vor, wir duschen und setzen uns dann zu Charles für einen Drink.«
     »Großartige Idee«, rief Lowry zurück. »Wie geht es ihm?«
     »Viel besser.« Zu Gifford gewandt sagte sie: »Du hast doch nichts dagegen, Charles? Es wird dir guttun, ein bißchen zu plaudern.«
     Gifford machte eine unbestimmte Bewegung mit dem Kopf. Als seine Frau zu ihrem Zelt gegangen war, richtete er seine Augen auf den Strand. Dort wanden und ringelten sich im Abendlicht die Schlangen, ihre langen Leiber glitten ineinander und auseinander, der ganze sich verdunkelnde Horizont war zusammengeschlossen durch ihre schlängelnde Umarmung. Es waren jetzt buchstäblich Zehntausende, und sie quollen über den Rand des Strandes bis auf das offene Gelände vor dem Lager. Am Nachmittag, als das Fieber am höchsten gewesen war, hatte er versucht, ihnen etwas zuzurufen, aber seine Stimme war zu schwach gewesen.
     Später, beim Cocktail, fragte Richard Lowry: »Wie fühlen Sie sich, Sir?« Als Gifford keine Antwort gab, sagte er: »Es freut mich zu hören, daß das Bein besser wird.«
     »Weißt du, Dick, ich glaube, es ist psychologisch bedingt«, bemerkte Louise. »Sobald du und ich weg sind, geht es Charles besser.« Ihre Blicke trafen sich mit denen Lowrys und

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