Der Unsichtbare Feind
ab und schob einen Schlauch von der Dicke seines kleinen Fingers in seine dünne Luftröhre. Dann fuhren sie mit heulenden Sirenen wieder die Bergstraße hinunter auf die Lichter zu, wobei einer der Sanitäter hinten bei ihr blieb, um ihr zu helfen.
Aber obwohl sie direkt in seine Luftröhre Sauerstoff pumpte, trotz eines jungen Herzens, das tapfer flimmerte, um wieder zu sich zu kommen, trotz all seiner anderen Organe, die vollkommen bereit waren, wieder anzuspringen – trotz allem war seine Lunge am Ende. Die Infektion hatte so viel ihres zarten, spitzenartigen Gewebes und der Lungenbläschen zerstört, dass sein Blut keine Luft vorfand, sodass der Rest seines Körpers Zelle für Zelle erstickte.
Als sie ihn am Eingang der Notaufnahme aus dem Wagen hoben, wusste sie bereits, dass er tot war. Während sie wie abwesend neben der Trage herlief, bemerkte sie die Brise, die seine Locken bewegte, und hörte das Geräusch der Palmen, deren Wedel über ihrem Kopf raschelten. Sie blickte nach oben, nur um den schwarzblauen, silbern gesprenkelten Himmel zu entdecken – ein Anblick, der sie immer empfangen hatte, wenn sie nach Arbeitsschluss nach Hause ging. Jetzt erschien ihr seine Schönheit kalt und gleichgültig, als ob Gott sie dafür verspottete, dass sie ihn jemals bewundert hatte.
Weniger als eine Woche später spürte Dr. Julie Carr, die Direktorin der Forschungsabteilung am Honolulu Virology Institut, wie sich ihr Herzschlag beschleunigte, als sie auf das hauptsächlich schwarz-weiße Bild auf dem Schirm ihres Elektronenmikroskops blickte. Ein grünes, eiförmiges, von tausenden von Stacheln bedecktes Geschöpf mitten in einem Sumpf von Körpern gleicher Form, aber grauer unauffälliger Farbe, hatte ihre Aufmerksamkeit erregt. Sie alle erinnerten an Gegenstände, die vielleicht in einem Abgrund tief unter dem Meer umhertrieben, aber tatsächlich waren sie alle Viren.
Als leidenschaftliche Lehrerin war sie immer zu einer kleinen Unterrichtsstunde bereit, und so rief sie einen Medizinstudenten im ersten Studienjahr zu sich herüber, der als Wahlfach einen Kurs in Krankenhauswissenschaften absolvierte, deutete auf den Bildschirm und verkündete: »Ich habe vier Tage gebraucht, um das grüne zu identifizieren.«
»Vier Tage?«, erwiderte der junge Mann überrascht. Normalerweise konnten sie ein Virus innerhalb von 48 Stunden bestimmen.
»Das ist richtig. Ist Ihnen der Fall Tommy Arness bekannt?«
»War das nicht der Sohn einer Ärztin, der zunächst nur eine Erkältung haben sollte und dann plötzlich gestorben ist? Ich kenne nicht die Einzelheiten – nur was ich von den Labortechnikern gehört habe.«
»Zuerst habe ich all die Standardtests für die üblichen Verdächtigen bei akuten Atemwegsinfektionen durchgeführt. Haben Sie schon etwas über ELISA gelesen?«
»Nein, Dr. Carr«, antwortete er schüchtern. »Aber ich werde es baldmöglichst nachholen –«
»Genau wie die Polizei eine Kartei der Fingerabdrücke bekannter Krimineller führt«, fuhr sie fort, ohne sich im Geringsten für seine Entschuldigungen zu interessieren, »so haben die Virologen die ›Fingerabdrücke‹ der Antikörper der üblichen Unruhestifter, mit denen wir heute tagtäglich zu tun haben. Wir haben an jeden dieser Antikörper das Molekül eines charakteristischen Enzyms angehängt, das einen spezifischen Farbumschlag erzeugt, wenn dieser Antikörper auf sein passendes Gegenstück trifft. Dadurch stellt es ein Reagens dar, das uns eine visuelle Bestätigung gibt, ob ein bestimmtes Virus in Seren oder Gewebeproben vorhanden ist oder nicht. Das Verfahren, bei dem wir diese Substanzen einsetzen, ist also ein an Enzyme gebundener, die Immunreaktion nutzender Test – auf Englisch ›Enzyme-Linked ImmunoSorbent Assay‹, oder kurz ELISA. Als ich die speziell vorbereiteten Proben, die ich aus Tommy Arness' Körperflüssigkeiten und Lungengewebe präpariert hatte, mit dem Reagens für Grippe versetzt habe, haben sie aufgeleuchtet wie rot glühende Kohlen.«
»Was ihn umgebracht hat, waren also Grippeviren?«
»Das konnte ich eben nicht glauben. Das Grippevirus, das die Schleimhäute der Nase, des Rachens und der Lungen bei Menschen angreift, ist wohl in der Lage, einen blutigen Auswurf zu verursachen, aber ich bin noch nie auf eine Stammlinie gestoßen, die einen solchen Grad der Hämorrhagie und der Gewebezerstörung hervorruft, wie ich ihn bei der Autopsie von Tommy Arness gesehen habe. Seine Lungen hatte sich in eine blutige
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