Der unsichtbare Feind
von unbekannten Früchten war. Er schüttete die Flüssigkeit hinunter und ließ sich ins Kissen fallen.
»Necron«, stöhnte er. »Er lebt. Ich könnte ihn brauchen, wenn es wieder hart auf hart geht!«
Die Aufregung ließ ihn lange nicht schlafen. Aber nach weniger als einer Stunde drehte er den Kopf zur hölzernen Wand und schlief ein.
Als er aufwachte, war es weit über Mittag, und das Floß war dem Ziel ein gutes Stück näher gekommen.
*
Zwischen Onaconz und Cayocon, einen Tagesmarsch von der nächsten Ansiedlung entfernt, entdeckten die scharfen Augen des Ausgucks eine sandige Bucht.
»Dorthin!« befahl Hrobon. »Wir nehmen frisches Wasser auf. Die Rudersklaven gehen an Land, und wenn einer von ihnen nicht zurückkommen will, soll’s mir recht sein.«
Die Nullora, die in der Nacht nach Süden zurückgesegelt war, von einem ablandigen Wind geschoben, schwenkte nach Steuerbord. Mitten in der Bucht mit hellblauem Wasser fiel der Ankerstein.
Einen Bogenschuß vor dem Bug war das Wasser so flach, daß die Männer an Land waten konnten.
»Ist das dein Ernst?« fragte Varamis.
Hrobon nickte. Dann wandte er sich an die Menge, die das Deck ausfüllte. Seine Stimme war laut und ließ keinen Zweifel an dem, was er sagte.
»Hört zu!« rief er. »Eines Tages werden die Loggharder alle ihre Gefangenen ebenso freilassen wie die Zaketer die gefangenen Barbaren. Auf diesem Schiff gibt es viele, die nicht mit uns Logghardern kämpfen wollen. Niemand wird gezwungen. Ihr, die ihr zu denen gehört, seid frei – dort ist der Strand. Aber sagt den anderen Zaketern, daß die Duinen und Aiquos sterben, wenn wir angegriffen werden. Die Nullora wird ohne euch weitersegeln!«
Einige Calcoper riefen zurück:
»Ein Ultimatum für die drei Herren des Lichts?«
»Haltet es, wie ihr wollt. In dem Augenblick, in dem wir angegriffen werden, stirbt der Hexenmeister durch meine Hand. Holt eure Waffen, nehmt das Boot oder schwimmt!«
Einige Stunden lang war das Schiff fast wehrlos. Aber niemand griff an. Etwa dreißig Krieger ruderten, schwammen und wateten hinüber zum Strand und waren verwundert, daß die »Barbaren« sie mit solch großer Milde behandelten. Dann bewegte sich der Zug der versklavten Ruderer aus dem untersten Deck hervor.
Die Loggharder öffneten die Ketten und die eisernen Fesseln. Wunden wurden versorgt, und man öffnete einige Weinfässer. Hundertfünfzig Männer, ausgemergelt und stumpf, taumelten aus dem Dunkel hervor und wußten nicht, daß auch für sie ein anderes Leben angefangen hatte.
Loggharder und diejenigen Calcoper, die den Sturz des Hexenmeisters geduldet und miterlebt hatten, kümmerten sich um die Sklaven.
»Wie lange willst du hier ankern?« fragte Varamis.
»Ich denke, bis morgen früh«, sagte Hrobon.
»Wo liegt unser nächstes Ziel?«
»Wir kreuzen an allen besiedelten Küsten.«
»Und wie lange?«
»Bis wir Nachricht von Luxon haben. Oder bis ALLUMEDDON. Oder, bis etwas geschieht, das uns auf einen anderen Kurs bringt.«
Varamis hielt ein weiches Tuch in der Hand und freute sich darauf, endlich die letzten Reste des leuchtenden Staubes von seiner Haut zu waschen. Er sagte mit ungläubigem Lächeln:
»Eine Antwort, Hrobon, die uns erkennen läßt, daß wir die wirklichen Herren der Archipele sind.«
Als er an den Strand watete und sich umdrehte, sah er Hrobon den Heymal, der schweigend, mit wachen, schnellen Augen und mit verschränkten Armen im Bug stand und versuchte, nichts zu übersehen.
Gleichzeitig erinnerten sich Varamis und Hrobon an diese einzigartige Nacht des vollen Mondes, in der sie jene grausigen Träume und Vorstellungen gehabt hatten. Die Gefahr, die damals sich tief in ihre Herzen gesenkt hatte, bestand noch immer.
Würde sich die Welt ändern, wenn der Lichtbote wirklich kam?
Oder brach das Chaos aus, wie es sich in ihren Träumen abzeichnete?
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