Der unsichtbare Killer
ziemlich gütiger Diktator gewesen, und zumindest das hatte sich auch unter Brinkelle nicht geändert. Über einige bürgerliche Angelegenheiten konnte man tatsächlich abstimmen, niemand kam gegen seinen eigenen Willen hierher, und jeder konnte jederzeit gehen. Theoretisch. Die Wirtschaft war nicht wirklich nett gegenüber den Unvermögenden, die hier gestrandet waren, aber wenn man in echten finanziellen Nöten steckte, bekam man immer noch eine Fahrt auf einem der Frachtschiffe nach Eastshields bezahlt und konnte entweder durch das Gateway zurückkehren oder sich in einer der Independencys niederlassen. Trotzdem hatten Saul und ein paar andere sich für eine offenere Demokratie eingesetzt; ein gewählter Stadtrat wäre ein guter Anfang gewesen, anstelle des gelegentlichen Online-Referendums über triviale Angelegenheiten wie den Standort einer neuen Schule. Und es gab auch die Frage, was mit den Rechten derjenigen war, die hier in Abellia geboren worden waren – nicht sehr viele, zugegebenermaßen -, aber ihre Zahl würde zunehmen. Der hauptsächliche Anlass, weshalb Saul mitgemacht hatte, war das Gesundheitswesen gewesen. Es gab hervorragende Krankenhäuser in Abellia, darunter das gewaltige Institut, das Bartram gegründet hatte, Abellias ganze raison d’être, und wohl die beste medizinische Einrichtung, die sich auf den transstellaren Welten finden ließ. Aber es war für die unabhängigen Arbeiter völlig unerschwinglich. Man musste einfach eine Krankenkasse haben, die vom Arbeitgeber bezahlt wurde, und das war nicht verpflichtend. Alle, die zu den Treffen gekommen waren, litten ebenfalls unter der mangelnden Gesundheitsfürsorge, und es gab noch eine Reihe anderer Themen.
Das Problem mit all dieser heißen Radikalität war die Qualität der Leute, die sie angezogen hatte. Nachdem Saul ein paar Jahre an den Treffen der neugegründeten »Volkskomitees« teilgenommen hatte – wo selbst der oder die dynamischste Vorsitzende kaum eine Abstimmung darüber durchbringen konnte, welcher Kaffee beim Treffen am nächsten Wochenende ausgeschenkt werden sollte -, war er einfach nicht mehr hingegangen, hatte die Nase gestrichen voll gehabt und war niedergeschlagen gewesen, weil sich in den zwei Jahren am Prozess der Demokratisierung nichts geändert hatte. Abgesehen davon hatte Brinkelle angefangen, einen allgemeinen Gesundheitsfürsorgeplan zu entwickeln – keinen besonders guten, aber immerhin stellte es ein Sicherheitsnetz für die schlimmsten Fälle dar. Er wusste, er wertete zu viel, und dass die meisten, die mitgemischt hatten es gut meinten – aber es gab eine Grenze dafür, wie viele Stunden seines Lebens er mit verfahrenstechnischen Themen und hinterhältigen Angriffen und ideologischen Schismen verbringen konnte, oder gar mit der Frage, wer wen in der Bar letzte Nacht als was bezeichnet hatte. Duren auf der anderen Seite hatte sich gerade wegen dieser Art von Diskussionen, die auch gerne mal handfest wurden, zu der Szene hingezogen gefühlt.
»Ja, Saul«, sagte Zebediah North. »Das wissen wir.«
»Also, warum sind Sie hier?« Es war fast eine rhetorische Frage. Ihr Auftauchen konnte kein Zufall sein. Einen beängstigenden Moment lang dachte er, der North könnte den wahren Grund kennen, weshalb er vor all den vielen Jahren nach Abellia gekommen war. Schließlich war die Sicherheitsabteilung von Northumberland Interstellar gut. Aber wenn sie es wussten, würde er längst nicht mehr herumlaufen, ganz zu schweigen von der Freiheit, die er genoss.
»Es geht natürlich um die Expedition.«
»Ja, das habe ich mir gedacht.«
»Sie bedeutet eine weitere Verletzung der Unantastbarkeit von St Libra.«
Sauls Blick wanderte unwillkürlich zu Duren. Der große Mann zeigte jedoch noch nicht einmal den leisesten Hauch von Erheiterung. Er war jetzt ein wahrer Gläubiger, begriff Saul. Zebediah bot ihm sowohl ein Anliegen wie auch Führung und somit all das, was Durens Leben im Innersten zuvor gefehlt hatte.
»Ja«, sagte Saul müde. »Aber schlimmstenfalls werden sie sechs Monate im nördlichen Dschungel herumlaufen und dann nach Hause gehen und versuchen, ihren Regierungen gegenüber zu rechtfertigen, warum sie so viel ausgegeben haben. Es sei denn, da draußen läuft ein Monster herum?« Er ließ den letzten Satz absichtlich wie eine Frage klingen.
»Es gibt keine Monster auf St Libra«, sagte Zebediah North. »Nur das Böse, das die Menschen mitgebracht haben.«
Es war seltsam, aber Saul konnte glauben, was
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