Der unsichtbare Killer
Natürlich hatte er nie damit gerechnet, zu heiraten und Kinder zu haben, aber Abellia hatte sich sanft darangemacht, ihn davon zu überzeugen, dass das Leben hier normal sein konnte. Und er war in dem Albtraum versunken, daran zu glauben.
Jenseits der Brücke öffnete sich das Tal und gab den Blick auf die Ringe frei, die über dem südlichen Himmel hingen und in einem Sonnenuntergangsfarbton schimmerten. Und ein großes, dunkles Flugzeug flog im Anflug auf den Flughafen nordwestlich der Stadt an ihrer Krümmung entlang.
Saul runzelte die Stirn, als das ferne Brummen der Triebwerke über das lautlose Auto hinwegdröhnte; er wusste sehr gut, worin der wahre Grund für seine schlechte Laune bestand. Das war schon die ganze Zeit so, seit diese lächerliche Expedition angekündigt worden war. Gleich von Anfang an hatte die offizielle Erklärung keinen Sinn ergeben: einen Beweis zu suchen, dass es eine empfindungsfähige Spezies auf dem unerforschten Kontinent Brogal geben könnte. Ein Beweis, der niemals erklärt oder definiert worden war. Die HDA würde genetische Vielfalt untersuchen, hieß es vage, da es die von andauernden wissenschaftlichen Forschungen entdeckte Möglichkeit gab, dass sich doch mehr als nur Pflanzen herausgebildet haben könnten.
Lügen, wie Saul wusste, armselige, üble Lügen. Es gab auf St Libra keine genetischen Forschungen; das versprach keinen Profit, denn ihre Biochemie unterschied sich zu sehr von der der Erde. Es hatte bisher nur ein einziges Exemplar von nichtbotanischem Leben auf Brogal gegeben: das Monster, das Bartrams Haushalt abgeschlachtet hatte. Die offiziellen politischen Stellen von Abellia hatten das auch wieder thematisiert, hatten die Ereignisse von vor zwanzig Jahren wiederaufleben lassen, während sie zur gleichen Zeit alle verächtlich an das verrückte psychopathische Mädchen erinnert hatten, das tatsächlich für die Morde verurteilt worden war. Sie zumindest waren klar in ihrer Aussage, dass dies der wahrscheinlichere Grund der Expedition war.
Saul vermutete, dass sie recht hatten. Was er aber ganz und gar nicht verstand: Wieso jetzt? Wieso entschied sich plötzlich jemand nach zwanzig langen, vergeudeten Jahren, einem unglaubwürdigen Gerücht nachzugehen? Und es war ja nicht gerade eine kleine Untersuchung. Nur die Hölle wusste, wie viel Geld diese Expedition verschlang.
Er war sich nicht sicher, wovor er mehr Angst hatte: davor, dass sie in der endlosen Dschungel-Wildnis etwas finden könnten, oder dass sie nichts fanden. Sein Leben lief jetzt in sicheren Bahnen, wie falsch es auch gewesen sein mochte, dies zuzulassen. Er hatte seine Opfer gebracht, hatte das Äußerste für diejenigen gegeben, die er mehr als sein eigenes Leben liebte, und hatte sich weiterentwickelt. Er hatte nie damit gerechnet, dass sich irgendetwas ändern könnte. Und das war, was ihn wirklich nervte, das war der Grund für die schlaflosen Nächte in letzter Zeit und seine generelle Reizbarkeit. Es sah allmählich ganz danach aus, als seien Ereignisse, die sich vollkommen seiner Kontrolle entzogen, kurz davor, ihn wieder zu verzehren und auszuspucken.
Es war einfach nicht fair. Ganz und gar nicht.
Velasco Beach erstreckte sich leicht sichelförmig über vierhundert Meter Länge westlich vom Alonso-Jachthafen, der für sich gesehen ein Auswuchs des ursprünglichen Frachthafens von Abellia war. Seine Lage mitten in der Altstadt und seine Größe machten ihn zu einer beliebten Attraktion bei den Bewohnern von Abellia, die sich keinen eigenen Strand leisten konnten und es genossen, sich abseits der altklugen und fordernden Reichen, denen sie dienten, entspannen zu können. Der Laden für Wassersport mit dem Namen Hawaiian Moon lag außerordentlich gut mitten auf der Promenade hinter dem Strand von Velasco, eingepfercht zwischen Ricos Bar und Grill und dem Cornish-Ice-Cream-Laden. Der Rohan brachte Saul um zehn vor neun auf den der Belegschaft vorbehaltenen Parkplatz hinter dem Hawaiian Moon. Pelli und Natasha, zwei Jugendliche, die verrückt aufs Surfen waren und hinter dem Tresen arbeiteten, warteten bereits darauf, dass Saul öffnete. Das Smartdust-Mesh der Hintertür bestätigte die biometrischen Daten des Eigentürmers und seinen E-I-Code, und das Schloss glitt klickend zurück.
Das Hawaiian Moon gehörte Saul jetzt schon seit zwölf Jahren. Das Konzept hatte damit begonnen, dass er und Emily eine kleine Bude am anderen Ende von Velasco gehabt hatten, wo die kleine Isadora
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