Der unsichtbare Killer
unternehmerische, staatliche oder private Belange handelte. Seit ihre Scheidung durch war, musste sie zwar eigentlich nicht mehr arbeiten, aber das hielt sie beschäftigt, und sie blieb in Kontakt mit den richtigen Leuten. Wie sie erzählte, konnte sie sich noch gut daran erinnern, wie schwer es für sie selbst fünfzehn Jahre zuvor an der Universität gewesen war, finanziell klarzukommen; wenn Angela also ein bisschen zusätzliches Einkommen benötigte … bei Veranstaltungen würde sie als Hostess einiges verdienen können, und das Geld konnte komplett auf ein Nebenkonto fließen.
Angela war dankbar für das Angebot und stimmte enthusiastisch zu.
Aslo verbrachte einen Monat damit, sie vorzubereiten. Dies war ihr ganz besonderes Talent, und sie begann damit, die Freundschaft so zu stärken, dass sie sich in Vertrauen verwandelte. Zuerst war da die Verlockung von Premieren-Partys und Wohltätigkeitsbällen: »Tiffany hat mich im Stich gelassen, ich brauche jemanden, der mich begleitet, Liebes. Würde es dir etwas ausmachen …« Dann neue Kleider: »Bitte nimm, du hast es dir verdient dafür, dass du mir geholfen hast.« Danach Begegnungen mit interessanten Leuten, die man sonst nur aus den Transnet-News oder den Klatsch-Shows kannte: CEOs, GE-Commissioner, Banker, Designer, Zone-Berühmtheiten – alle erfreut darüber, ihr vorgestellt zu werden. Dann gab es die Fußballspiele – Angela besuchte alle wichtigen Londoner Clubs, sah die Spiele von den begehrten Logen oben am Rand des Stadions, und ihre Begeisterung für diesen Sport trat nur zu deutlich zutage. Darüber freute Aslo sich besonders. So kam es, dass Angela unausweichlich immer weniger Zeit im Imperial College verbrachte, da Aslo ihren bisherigen Lebensstil mehr und mehr auflöste und sie dazu brachte, ihre formale Erziehung in Frage zu stellen und zurückzuweisen. »Nun, du bist eine Kleinbürgerin, meine Liebe, aber mach dir keine Sorgen, das ist nichts, wofür du dich schämen musst. Schämen müssen sich nur die wahrhaft Unterdrückten.« Sie ermutigte sie, Geschenke und Versprechen anzunehmen. »Sag ja, befreie dich, es gibt keine Verpflichtung.« Gratulierte ihr, wenn sie mit ihren neuen Freunden lange Pausen in deren palastartigen Urlaubs-Chalets machte. »Finde heraus, wie das Leben wirklich gelebt wird, wie bereichernd die Befreiung ist.« Aslo war die Torwächterin zu einem parallelen Leben, das in der gleichen Stadt stattfand, in der die Studenten der Universität sich durch ihre Seminare kämpften, von Fast Food lebten und sich nachts volldröhnten, aber ihr Leben war geprägt von unbekümmertem Luxus, Lachen und materieller Sorglosigkeit. Ein verführerisches Leben, das Angela mehr und mehr gefangen nahm. Niemand zog sich gern aus so etwas zurück.
Den großen Vorschlag machte Aslo, als der Mai sich dem Ende zuneigte. Nachdem Angela viele Wochen lang ein Leben in Saus und Braus geführt hatte und ihre Weltsicht subtil und doch deutlich angepasst worden war, willigte sie rasch ein. Kabale wurde schnell eingeladen, teilzunehmen; er kam ebenfalls aus dem Stall von Aslos Begleitern, war fast genauso hübsch wie Angela und ohne Hemd ein echter Adonis. Eine ganze Woche blieb er bei ihnen im Mayfair-Apartment, während Aslo Angelas Einführung in eine ganze Reihe sexueller Praktiken überwachte, mit denen sie bisher noch nie etwas zu tun gehabt hatte, und sie so lange anleitete, bis sie in allen bewandert war.
Ende Mai verabschiedete sich Aslo von Angela am Londoner Kings-Cross-Bahnhof, wo sie sie mit einem Koffer voller exzellenter neuer Kleider und einem Ticket erster Klasse nach Newcastle auf der Plattform zurückließ. Melyne Aslo erhielt dafür eine Bezahlung von einer Million Eurofrancs auf ihr Nebenkonto. Sie verlor nie ihren Glauben, dass sie es war, die sich Angela ausgesucht hatte.
Marc-Anthony holte Angela am Bahnhof von Newcastle ab. Ein großspuriger kraftloser Sechzigjähriger, der das, was ihm an körperlicher Statur fehlte, durch seine Persönlichkeit wettmachte, und sich ohne jede Spur von Ironie als Viehhirte von Bartram Norths Freundinnen vorstellte. Er hatte einen gewagten Sinn für Humor, für den Angela sich augenblicklich erwärmte.
Zunächst einmal ging es zur Sicherheitsabteilung von Northumberland Interstellar, einem dreißigstöckigen Turm aus dunklem Glas im Manor-Viertel der Stadt.
»Wieso sind wir hier?«, fragte Angela, während sie von einem livrierten Mann durch die Lobby zu den Aufzügen geführt
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