Der unsichtbare Killer
Die Mädchen trugen wieder Kleider. Die Bäume der Stadt bekamen Knospen und fügten den rauen Straßen aus Stein und Beton eine Schicht Grün hinzu.
Und in diesem Jahr war Tallulah in sein Leben getreten. Dieses Jahr versprach das schönste überhaupt zu werden. Er musste es nur richtig angehen.
Heute Vormittag um 11:45 Uhr hatte der silberne Regen nachgelassen, und die Sonne schien immer wieder durch Wolken, die zum westlichen Horizont davoneilten. Ian ging hinüber zu Evas Schreibtisch. Sie war einem anderen Büro im dritten Stock zugeteilt worden und arbeitete an einem Fall drüben in Arthur’s Hill, wo ein Familienstreit eskaliert war, bis ein Vater eines seiner Kinder getötet hatte. Daraufhin hatte die Mutter ihn mit Messern zerstückelt, die sie aus ihrem Restaurant mit nach Hause gebracht hatte. Wurde es dadurch zu Vorsatz? Eva arbeitete mit Zeugenaussagen und psychiatrischen Berichten, um herauszufinden, was in dieser schlimmen Nacht wirklich geschehen war.
»Kann ich dir ein Mittagessen ausgeben?«, fragte Ian.
Eva warf ihm einen überraschten Blick zu, bevor ihr mit Sommersprossen überzogenes Gesicht einen glücklicheren Ausdruck bekam. »Sicher. Danke. Das ist einfach zu schrecklich. Diese armen Kinder.«
»Ich dachte, es wäre nur das eine?«
»Eines ist tot, aber es hatte einen Bruder und eine Schwester. Sie sind nun beide in Pflege. Bei dieser Sache wird niemand gewinnen.«
Sie gingen in die milde Feuchte der Grey Street hinaus und wandten sich hinab zum Fluss.
»Hast du Sid getroffen?«, fragte Eva.
»Nicht am Wochenende, nein.«
»Wir werden die Downloads bald durchführen müssen.«
»Ich weiß, Schätzchen. Ich habe gehört, dass die Rechtsabteilung die Akte North morgen ans Büro der Staatsanwaltschaft schicken wird. Wenn wir nichts über Sherman haben, wird bis zum Ende der Woche die Kacke richtig am Dampfen sein.«
»Ich weiß nicht, warum er so lange wartet. Ich hätte es inzwischen heruntergeladen.«
»Klar, deswegen hat er es in den dritten Rang geschafft. Er geht Risiken ein.«
»Sid?«
Ian lächelte sie an. »Er ist ein großer Unbekannter, unser Sid, Schätzchen. Ich dachte, das wüsstest du inzwischen.«
Sie gingen unter der Verankerung der Tyne Bridge hindurch hinab zur Quayside.
»Wo gehen wir eigentlich hin?«, fragte Eva.
»Dort rein.« Ian führte sie in das Tollamarch Arms, einer der Pubs, die in der langen Reihe georgianischer Gebäude residierten, die dieses Ende von Quayside säumten. Das Zimmer an der Vorderseite war ein grandioses Relikt vergangener geschäftlicher Eleganz, mit einer hohen Decke und breiten Bodendielen aus Eichenholz von der Art, wie sie sich heute niemand mehr leisten konnte. Wo einst Anwälte und ihre Gehilfen Register durchsucht hatten, gab es nun eine lange Bar, die durch tiefe Ledersessel und polierte Kunstharztische mit fleckigen Beinen vervollständigt wurde. Der Laden hatte eine gute Auswahl an Barsnacks und bot einen hervorragenden Blick über den Fluss – der perfekte Ort zum Mittagessen für das mittlere Management. Sie fanden einen Platz am Fenster. Ian bestellte ein Mineralwasser, während Eva ein Glas Sauvignon Blanc nahm.
»Wie viel hast du denn im vierten Stock zu tun?«, fragte Eva, während sie die Speisekarte durchlas.
»Es hat ein wenig nachgelassen, nachdem GE jetzt mit dem Rat von Highcastle verhandelt, ob man die Leute durch das Gateway zurücklässt. Auf jeden Fall sind die Legionäre der HDA abgerückt; nur noch die Truppen der GE-Grenzdirektion bewachen jetzt das Gateway, mit den Agency-Constables als Reserve. Und ich weiß ganz sicher, dass die Mitarbeiter von NI zurückkommen dürfen. Ich war letzten Samstagnachmittag auf der Last Mile. In der einen Stunde, die ich dort verbracht habe, müssen fünfzig Busse durch das Gateway gekommen sein.«
»Weil sie die Bioil-Produktion eingestellt haben«, sagte Eva. »Es gibt jetzt keinen Grund mehr, dass sie dort bleiben.«
»Sie müssen sie sich gewogen halten«, sagte Ian. »Northumberland Interstellar und die anderen Großen Acht werden ihre Ingenieure brauchen, um die Algenfelder wieder aufzusetzen, sobald die Sonnenflecken verschwunden sind und St Libra wieder zur Normalität zurückkehrt.«
»Vermutlich.«
Die Kellnerin brachte ihre Getränke. Eva bestellte einen Salat mit gebratener Entenleber, Walnüssen, Äpfeln und Weintrauben; Ian nahm das Lachsfilet mit Frühkartoffeln.
»Hast du gehört, wie viel Prozent vom GE-Bioil tatsächlich aus St Libra
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