Der unsichtbare Killer
draußen hinab. Sie hatten das Biolab am Nachmittag versetzt, um es aus den Schneewehen zu fahren, die sich auf beiden Seiten angesammelt hatten. Der Schnee sammelte sich aber längst wieder um die großen Räder.
Er blickte sich um, während die Tür zuglitt und sich selbsttätig wieder verriegelte. Draußen waren ungefähr dreißig Leute unterwegs, die zu den Orten eilten, an denen sie den Blizzard aussitzen würden, doch er konnte niemanden davon sehen. Seine Bodymesh-Verbindung mit dem Netzwerk von Wukang fiel erst aus, dann war sie wieder da. Das Polarlicht tauchte sein fleckiges Universum in ein zartes Violett, das sich zu Lachsrosa wandelte.
Marvins E-I warf ihm ein Navigations-Display auf sein Raster, die Palette mit den Laborvorräten war markiert. Er legte eine Hand auf die Heckler und machte sich auf den Weg. Nach zehn Schritten leuchteten die Scheinwerfer des Biolabs zweimal auf. Er winkte dem dunklen Umriss zu, weil er annahm, dass Smara ihn sehen konnte.
Eine Minute später war er bei der Palette. Es dauerte etwas, bis er den Schnee daneben weggewischt hatte, seine Hände in den Handschuhen wurden immer kälter. Langsam verlor er das Gefühl in den Fingern. Schließlich legte er die Klappe frei und öffnete sie, um an die schmalen Behälter zu kommen, die sich dicht gepackt im Inneren befanden. Sein Helmlicht warf einen grellen, hallogenweißen Lichtstrahl auf die Beschriftungen, und die E-I schickte einen Ping an das Tag, das er suchte. Auf seinem Raster erschien ein violettes Symbol, das den Behälter mit dem Agens markierte.
Hoch über ihm schimmerte das Polarlicht in züngelndem Grün und warf ein freundliches blaugrünes Licht auf die Palette. Ein Schatten glitt davor, so mühelos und bedrückend wie eine Mondfinsternis. Marvin fuhr herum.
Das Monster stand vor ihm.
»Nein«, wimmerte Marvin. Sogar betäubt vor Angst starrte er es verwundert an und versuchte das Alienartige in der unförmigen Gestalt zu erkennen, den schieren wissenschaftlichen Beweis einer evolutionären Abweichung vom irdischen Leben. Wie jedes Mitglied des Xenobiologen-Teams hatte er vollen Zugriff auf die restriktiven Berichte des Verhörs erhalten, das Frontline mit Angela Tramelo geführt hatte. Sie hatte es gut beschrieben.
Dunkel war es, mit jenen berüchtigten brutalen Messerklingen anstelle von Fingern. Anstatt Haut sah er Leder, das zu Stein geworden war; heute war es mit Schnee bedeckt, der an jeder Falte haften blieb. Ein zweifüßiger, humanoider Umriss; die Gelenke der Extremitäten stimmten vollkommen mit denen des Homo Sapiens überein. Eine Gesichtsmaske aus Calcium, die unfähig war, ausdrucksstarke Erhebungen zu bilden. Aber die Augen – Angela hatte niemals diese Augen erwähnt. Sie lagen geschützt in tiefen Höhlen … und sie waren menschlich.
Es war schnell . Ein Arm schoss nach vorne und traf ihn an der Brust. Eine entsetzliche Kraft schleuderte ihn brutal nach hinten, wo er ausgestreckt an der Palette liegen blieb. Aber die Berührung dauerte länger als bei einem einfachen Schlag, und am Ende wurde sie langsamer, als würde das Monster durch eine zähe Flüssigkeit dringen.
Der Arm wurde zurückgezogen. Aus irgendeinem Grund konnte Marvin nichts mehr spüren. Sein Körper hatte aufgehört zu atmen, sogar das Brüllen des Windes hatte sich zu einem Seufzen vermindert. Das freundliche enzianblaue Polarlicht schimmerte um ihn herum. Es beleuchtete die glitzernde Flüssigkeit, die von den Fingerklingen des Monsters tropfte.
Marvin blickte auf seine Brust hinab. Aus einem Riss in seinem Parka strömte Blut. Die Klingen hatten seine warmen Kleider und die Panzerweste darunter glatt durchstoßen.
Er öffnete den Mund, um »Oh« zu sagen, aber Blut strömte ihm in den Rachen und ertränkte seine Stimmbänder. Die warme Flüssigkeit schoss ihm aus dem Mund, während seine Beine nachgaben, sodass er nach vorne kippte. Marvin Trambi war tot, bevor sein Gesicht in den Schnee knallte.
In Newcastle war es wirklich Frühling geworden. Der April brachte noch kühle Nächte mit sich, aber am Tag schien die Sonne hell und warm aus einem wolkenlosen Himmel, und jeden Mittag stieg sie ein bisschen höher. Wenn es Regen gab, zog er schnell vorüber, weil ihn ein frischer Wind rasch weitertrieb, sodass die Stadt in glänzender Frische und Sauberkeit zurückblieb.
Ian hatte den Frühling immer gemocht. Nachdem der trostlose Winter von Nordostengland sie so lange im Griff gehabt hatte, bekamen alle bessere Laune.
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