Der unsichtbare Killer
Wänden zurückspringen wie ein ewig in Bewegung bleibender Squash-Ball. Es kursierten auch beeindruckende Gerüchte über Sex im Freien Fall, der angeblich atemberaubend war. Ihrem Innenohr gefiel Nullgravitation allerdings ganz und gar nicht, was mehr als einmal sogar zu explosionsartigem Erbrechen geführt hatte. Selbst ihre berühmt-berüchtigte störrische Hartnäckigkeit hatte aufgehört zu versuchen, sich zu »akklimatisieren«, nachdem ihre Mutter sie zum fünften Mal dazu gebracht hatte, ihre Sachen zu waschen und sich persönlich bei allen anderen im axialen Fitnessraum zu entschuldigen.
Jetzt hielt der Aufzug, der bis zur Habitatsachse hinaufführte, siebenhundert Meter über dem gewölbten Boden beim Ein-Drittel-Erdschwerkraft-Level an. Sie stieß sich ab und fing an, behutsam weiterzugehen, sich nur zu sehr der Trägheit bewusst, als sie sich in langen Bögen vorwärtsbewegte und ihre Füße den Boden nur noch in großen Abständen berührten. Alle paar Meter waren große Reifen an den Wänden befestigt, an denen man sich festhalten konnte, wenn man das Tempo verlangsamen, anhalten oder an einer Kreuzung die Richtung wechseln wollte. Sie streckte die Arme aus, nur um im Notfall bereit zu sein. Bislang machte ihr Magen noch mit.
Die Tür, zu der ihre E-I sie brachte, schien sich nicht im Geringsten von den anderen in dieser Sektion zu unterscheiden, die den eingeblendeten Plänen zufolge überwiegend der Habitat-Wartung und -Instandhaltung dienten. Die Tür glitt auf, und Rebka betrat gleitend den dunklen Raum dahinter.
Das Zimmer war deutlich größer, als sie es erwartet hatte. Es wirkte wie ein kleiner Andock-Hangar mit einer Decke, die sich zehn Meter hoch über ihr wölbte. In bestimmten Abständen waren seltsame Strukturen angeordnet, die an riesige DNA-Stränge erinnerten; aber mit krummen, aufgedunsenen Mehrfach-Spiralen aus einer Substanz, die annähernd einer Perle gleichkam. Die mehrfach geschwungenen, sich immer wieder in scheinbar zufälligen Mustern verschränkenden Grate in verschiedenen Größen sahen wie die Muschel einer Meereskreatur aus und überzeugten sie davon, dass es sich eher um lebende Strukturen handelte, als dass sie technisch hergestellt waren. Es war schwer zu sagen, weil sie unablässig in die Raumzeit hereinund wieder hinausglitten; zufällige Bereiche entmaterialisierten sich, um ihr ursprüngliches Profil mit scharfen smaragdgrünen und orangefarbenen Laserlichtblitzen zu skizzieren, als würden sich Photonen mit Atomen austauschen. Ihr Flimmern machte es schwer, in der Düsternis des Zimmers noch etwas anderes zu erkennen.
Als sie blinzelte, konnte sie sehen, dass die Wand am anderen Ende aus großen, rechteckigen Fensterbereichen bestand, die sämtlich einen direkten Blick in den Weltraum gewährten. Vor dem rotierenden Sternenmeer zeichnete sich eine menschliche Silhouette ab.
»Rebka, danke, dass du gekommen bist«, sagte Constantine North.
»So ist die Tradition«, erwiderte sie und ging vorsichtig auf ihn zu, darauf bedacht, nicht gegen eine der ausgedehnten, nicht ganz wirklichen Strukturen zu stoßen; selbst wenn sie sonst nichts waren, sahen die Spitzen der Grate, wenn es sie denn gab, scharf und hart aus. »Ich hatte nicht vor, diejenige zu sein, die mit ihr bricht.«
Jupiters Nachtseite glitt in Sicht, als sie Constantine erreichte. Wie immer war sie überrascht, wie jung er aussah, nur ein paar Jahre älter als Raul. Und doch wusste sie, dass er vor mehr als einem Jahrhundert geboren worden war.
»Wenn irgendjemand so etwas tun würde …«, sagte er.
Rebka zog einen Schmollmund. »So schlimm bin ich nicht.«
»Nein. Natürlich nicht. Die Teenager-Zeit ist für alle Eltern eine Prüfung, und doch scheinen wir uns da immer irgendwie durchzuwursteln.«
»Mom hat gesagt, dass Sie wissen möchten, ob ich hier glücklich bin.«
Das helle Licht, das von den Wolkenbändern Jupiters reflektiert wurde, malte graue Schatten auf sein Gesicht. »Nicht ganz. Der Grund für dieses Gespräch besteht darin, festzustellen, ob du glücklich sein wirst , wenn du hier lebst.«
»Das vermute ich.«
»Ich vergleiche dieses Gespräch mit dem Rumspringa der Amischen . «
»Ich kann Ihnen nicht ganz folgen.«
»Die Amischen sind eine Gesellschaft in einer Gesellschaft. Sie leben in den Vereinigten Staaten. Sie lehnen die moderne Lebensart ab und ziehen ein ruhiges ländliches Dasein vor, eine Art zu leben, die sich seit Jahrhunderten nicht geändert hat. Wenn sie
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