Der unsichtbare Killer
Zum ersten Mal seit Wochen konnte Angela die Ringe in ihrer ganzen Pracht sehen, auch wenn der Rote Sirius und das schillernde Polarlicht ihnen jetzt einen kranken Malventon verliehen, als sie über dem südlichen Horizont entlangwanderten. Darunter und etwa drei Kilometer entfernt am Grund eines sanften Hügels befand sich der Lan-Zufluss. Angela starrte ihn immer noch an, hauptsächlich, um sich zu vergewissern, dass irgendetwas auf dieser elenden Reise endlich mal richtig gelaufen war.
Wie Leif vorhergesagt hatte, war der Flusslauf eben, fest und sogar verhältnismäßig gerade – eine regelrechte Autobahn, die die unbarmherzige Landschaft mit ihren Dschungeln und Tälern durchschnitt. Drei Kilometer entfernt. Auf einmal so nah.
Während sie sich mit den anderen an den stehenden Fahrzeugen des Konvois entlangschleppte, konnte sie in der eiskalten klaren Luft die Bänder des Polarlichts zehn Kilometer hoch über ihr sehen. Außerdem gelang es ihr gelegentlich, einen Blick auf ein dunstiges malvenfarbiges Phosphoreszieren zu erhaschen, das die Atmosphäre nach oben begrenzte. Die mit dem Partikelsturm vom Roten Sirius beschossene Ionosphäre glühte wie ein schwaches Neonzeichen und strahlte die Bedrängnis des Planeten in den Weltraum zurück. Flackernde dünne Blitze spielten durch die obere Atmosphäre, als die Schichten versuchten, ihre energetischen Ladungen auszugleichen.
Bei all seiner seltsamen Schönheit war der Anblick bedrückend. Das Klima würde sich in allernächster Zeit nicht ändern, und es war diese allernächste Zeit, mit der sie es zu tun hatten. Selbst die schien ihnen jetzt davonzulaufen. Sie ging an dem orangefarbenen Werkstattballon vorbei, in dem sich der MTJ-1 befand. Der Ballon wirkte jetzt schlaff, da das Wartungsteam schon mehr oder weniger dabei war, ihn wieder zu öffnen und das Fahrzeug rauszufahren.
Am Montagnachmittag hatten zwei der Achsnabenmotoren des MTJ-1 im Abstand von nur drei Stunden versagt. Alle hatten angefangen, von Sabotage zu reden; abgesehen von Leif und Darwin, die so etwas halbwegs erwartet hatten. Wie sie Elston erklärten, musste man bei einem Fahrzeug, das eine Schlucht hinuntergefallen war, auf einem zweitausend Kilometer langen Treck immer damit rechnen, dass Probleme mit der Zuverlässigkeit auftauchten. Eine Überprüfung ergab, dass ein vollständiger Austausch vorgenommen werden musste. Also wurde die Werkstatt aufgeblasen, in der das Fahrzeugteam arbeiten konnte. Sie hatten elf Stunden damit verbracht, die alten Lager auszubauen und durch mitgeführte Ersatzteile zu ersetzen.
Angela erreichte Biolab-2, und ihre E-I wies die Tür an, sich zu öffnen. Sie wartete, bis die Schleuse sich geschlossen hatte, bevor sie ihre Sturmmütze abnahm und die Handschuhe auszog. Wie immer wirkten das Licht und die Wärme ungewohnt. Die Luft verschaffte ihr irgendwie ein flaues Gefühl, aber andererseits befanden sich neun Leute im Biolab und belasteten ebenso wie der starke Geruch der streng riechenden Desinfektionsmittel die Filter der Klimaanlage.
Paresh war wach und saß auf Kissen gestützt aufrecht, was ihr half, die Empfindung zu ignorieren. Seine Wangen waren etwas gerötet, wie bei einem spielenden Schulkind. Sie vermutete, dass das gut war.
»Hi«, sagte sie, während sie zwischen seine Krankentrage und die glitt, auf der Luther lag. Luther sah immer noch schlecht aus, seine Haut war grau, und eine ganze Menge Schläuche waren unter seinem Laken miteinander verbunden. Sie sah nicht gern zu den Beuteln am Ende der Schläuche hin, denn die Farben der Flüssigkeiten in ihnen wirkten einfach falsch.
»He, du«, erwiderte Paresh.
Angela gab ihm einen kurzen Kuss, sich nur zu sehr der vielen anderen bewusst, die sich dichtgedrängt im Fahrgastraum und der Fahrerkabine aufhielten. »Wie fühlst du dich?«
»Ziemlich gut. Der Doc gibt mir gute Drogen.«
»Du Glücklicher. Wir haben inzwischen mit dem Synthetikgel angefangen.«
»Ja, ich weiß.« Er deutete auf die Nische mit der winzigen Küche; auf einem Regal befand sich eine der Maschinen, mit denen die Mahlzeiten zubereitet wurden. Sie war mittels dicker Klebebänder auf der makellosen Stahloberfläche befestigt worden.
Angela runzelte die Stirn. Die Geräte sahen wie eine Billigversion der Kaffeemaschinen aus, die die Franchise-Cafés benutzten, nur ohne Dampf und Gezische. Die Bedienung war denkbar einfach: Man schob das Gel oben in den Schlitz und wählte seine Mahlzeit, die in einem winzigen
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