Der unsichtbare Killer
immer heftiger, was den Schutz, den die Sensoren der fernbedienbaren MGs boten, deutlich reduzierte. Sie wies ihre E-I an, sich Zugang zu dem Festspeicher-Cache zu verschaffen, den sie in ihrer Tasche trug. Als sie die Liste mit Zarleenes schwarzer Software durchging, fand sie ein Programm, das sich für die bevorstehende Aufgabe eignete, und sie schickte es ins Konvoi-Netz.
Das fernbedienbare MG auf dem Tropic-2 bewegte sich von einer Seite zur anderen, aber seine Sensoren sahen jetzt nichts mehr. Angela trat zu dem übel zerbeulten und von Schnee bedeckten Landrover und ließ den Cache hinter dem breiten Hinterrad auf den Boden fallen. Über dem Radlauf waren ein paar schwere Taschen an der Seite des Tropic befestigt worden. Sie öffnete jetzt eine davon und nahm eine Miniwinde heraus – den sogenannten Mauergänger, eine angetriebene Rolle aus superstarkem Band. Der Bestandsliste zufolge, die sie noch in Wukang durchgegangen war, waren in der Tasche auch einige selbstverankernde Eishaken, die sie nach einigem Herumwühlen schließlich fand und in ihre großen Hosentaschen stopfte.
Körperlose Stimmen trieben von denjenigen, die versuchten, das Treibstoffproblem zu lösen, durch das Schneetreiben zu ihr. Sie blickte sich ein letztes Mal um, aber es war niemand zu sehen. »Trenne die Verbindung meines Bodymeshs zum Netz«, wies sie ihre E-I an. »Und aktiviere den Cache.« Der Cache-Link begann, ihren Identitäts-Code zu benutzen, sodass sie für die Überwachungs-Programme im Tropic saß.
Sie vertraute darauf, dass der schwere Schneefall sie vor irgendwelchen zufälligen Blicken schützte, und eilte durch die breite Lücke in der Sensorerfassung nach draußen.
Jenseits der Fahrzeuge, wo der Schnee alles in einen erstickenden Mantel hüllte, gab der zugeschneite Fluss auf beunruhigende Weise in allen Richtungen das gleiche Bild ab. Ihr Bodymesh hielt eine Verbindung zu dem Trägheits-Orientierungsmodul aufrecht, das sie in einem früheren Leben vor langer Zeit im Birk-Unwin-Store gekauft hatte. Es war jetzt ihr Kompass, während um sie herum Schneeflocken durch die Luft schwebten und der unheimliche Dschungelnebel um ihre Beine quoll.
Angela war dem Fluss vielleicht gerade einmal hundert Meter gefolgt, als sie bemerkte, dass ihr jemand folgte. Es überraschte sie nicht. Diese ganze Sache, dass Ravi in Sicherheit sein sollte, war ein bisschen überzogen. Es gab jetzt zwei Möglichkeiten: Entweder handelte es sich um das Monster oder um den Saboteur. Wie auch immer, sie war bereit, die Sache zu Ende zu bringen.
Mit einer schnellen Bewegung zog sie den Karabiner aus ihrem Brusthalfter und schob die Sicherung zurück. Schritte knirschten auf dem lockeren Schnee, näherten sich. Angela spannte sich an; sie befahl ihrer E-I, sich mit den Zielerfassungssensoren des Karabiners zu verbinden. Diesmal hatte sie die Codes; Elston hatte sie ihr selbst übertragen. Grüne und purpurne Graphiken glitten so geschmeidig wie Neonfische in das Koordinatennetz ihrer Iris-Smartcells.
Eine dunkle Gestalt tauchte aus dem Schneevorhang auf. »Dreckskerl«, knurrte Angela. Es war eine Falle! Das Ding war humanoid und besaß einen Körper mit einer gänzlich nichtssagenden, ölig glänzenden Haut, an der der Schnee herunterglitt. Was nicht ganz zu ihrer Erinnerung passte. Auch waren die Hände zu normal, es gab keinerlei Anzeichen von irgendwelchen schrecklichen Klingen. »Wer bist du?«, brüllte sie trotzig, als sie den Karabiner herumschwenkte.
Seltsamerweise hob die Gestalt eine Hand, bat in einer universell geltenden Geste um einen kurzen Aufschub. Die aalglatte Haut zitterte, strömte in schmalen Rinnsalen dahin, zog sich vom Kopf zurück und erstarrte im gleichen Parka und der wasserdichten Hose, wie sie alle Mitglieder des Konvois trugen. Dann wanderte eine behandschuhte Hand nach oben, nahm den langen, blauen gestrickten Schal ab und offenbarte das Gesicht.
Angela stieß einen verblüfften Schrei aus.
»Hallo, Angela«, sagte Madeleine. »Was in aller Welt tust du hier draußen?«
Angela deutete mit dem Karabiner zum Himmel, als würde sie salutieren. Nach all der Sorge, die sie empfunden hatte, seit sie sich vom Konvoi weggeschlichen hatte, nach dem Vorgefühl, dass dies eine Falle war, war es fast zu viel, jetzt auf dieses Mädchen zu stoßen. Sie spürte, wie sich Feuchtigkeit in ihren Augen bildete, das Symptom ihrer tiefen Sehnsucht. Sie konnte die Farce nicht länger aufrechterhalten. Nicht hier, nicht jetzt.
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