Der unsichtbare Killer
wir«, sagte Angela. Sie biss die Zähne zusammen, versuchte, ihre aufgewühlten Gefühle in den Griff zu kriegen. Noch so ein Problem. Eine weitere Verletzlichkeit, mit der der winzige Körper klarkommen musste. Sie hatte gedacht, Rebkas Lunge sei außer Gefahr und die Steroide würden funktionieren, seit zwei Wochen zuvor das Beatmungsgerät abgenommen worden war.
Es hatte keinen Hinweis auf so etwas gegeben; die Schwangerschaft war gut verlaufen. Dutzende von Tests hatten immer darauf hingedeutet, dass es Mutter und Tochter gut ging. New Florida war zwar eine neue amerikanische Welt, aber es mangelte nicht an medizinischen Einrichtungen, und Oakland war jetzt ein richtiger Staat, der Senatoren nach Washington entsandte. Das Palmville County General hatte eine gute Kinderabteilung. Die Familienkrankenversicherung, die sie bei Howard – einem auf der Erde registrierten Unternehmen – abgeschlossen hatte, war erstklassig und bezahlte sämtliche Rechnungen.
Erst nach der Geburt hatten sie eine Ahnung von dem Grauen bekommen, das ihre hübsche Tochter befallen würde. Die für Babys normale Gelbsucht entwickelte sich bei Rebka zu einem ausgewachsenen Leberversagen, das die Transplantation eines genmodifizierten Schweineorgans erforderlich machte. Dies war die erste einer Sintflut medizinischer Katastrophen, die über das Kind hereinbrachen. Sie alle wurden fachmännisch vom Krankenhaus und dem hingebungsvollen Team behandelt. Aber jedes Mal, wenn sie die eine Katastrophe in den Griff bekommen hatten, tauchte eine neue auf. Die Anhäufung hatte die Ärzte zu der Annahme geführt, dass eine systemische Störung vorliegen könnte, die sie noch nicht hatten diagnostizieren können.
Besonders besorgniserregend für die verzweifelten Eltern war, dass Rebka kaum wuchs. Mit neun Monaten wog sie fünfeinhalb Kilogramm und war kaum dreiundfünfzig Zentimeter groß. Allerdings hatte der Leitende Kinderarzt Angela und Saul gewarnt, dass das Wachstum ihrer Tochter angesichts ihres hypoplastischen linken Herzsyndroms, des polyzystischen Nierenleidens, des Eiweißmangels mit der daraus resultierenden schlechten Muskelentwicklung, eines schwachen Immunsystems und verschiedener Allergien unausweichlich unterhalb der Norm liegen würde. Glücklicherweise blieb die neurologische Entwicklung davon unberührt. Saul hatte geschworen, dass er einmal gesehen hatte, wie sie lächelte; das war erst vor zehn Tagen gewesen.
David und Alkhed schoben das Bett durch die Tür, wobei sie die wesentlichen medizinischen Utensilien auf den Ablagen unter der Matratze abstellten. Das Bett war so gestaltet, dass es in die Behandlungsbucht der Ambulanz passte. Nachdem es an der entsprechenden Stelle befestigt worden war, begann David, die Systeme des Betts in die Anschlüsse für Energie und Datentransfer einzustöpseln.
Angela nahm ihre Tasche, die stets gepackt und griffbereit neben der Haustür stand. Saul nahm seine ebenfalls, und sie setzten sich in den hinteren Teil der Ambulanz, während David sich um die kleine Patientin kümmerte. Alkhed saß vorn und überwachte die Automatik des Fahrzeugs.
Zumindest war es nicht nötig, die Sirenen anzustellen, auch wenn Alkhed auf der Schnellstraße beständig mit einhundertzwanzig Sachen dahinrauschte. Es war noch früh am Tag, daher gab es noch nicht viel Verkehr auf der Straße. Die vertrauten Schilder und Feldwege glitten an den geschwärzten Fenstern vorbei. Angela starrte ausdruckslos darauf; sie weigerte sich, das völlige Elend in sich aufsteigen zu lassen, damit es nicht jeden rationalen Gedanken in düstere Verzweiflung verwandelte. Sie hasste die Hilflosigkeit, die jämmerliche Dankbarkeit, die sie jedes Mal überwältigte, wenn der Leitende Kinderarzt einer neuen Krise entgegenwirkte. Sie hasste es, sich zu fragen, was als Nächstes kommen würde, denn dies bedeutete, dass sie bereits erwartete, dass sich ein neues Problem manifestieren würde, während sie doch wollen sollte, dass es ihrem geliebten süßen Kind besser ging. Aber ihr größter Hass richtete sich auf das Herz eines gefühllosen Universums, das einem so kostbaren und unschuldigen Leben so viel Leiden zufügte.
Sie fuhren an der Ausfahrt nach Stamford vorbei, und Angela griff automatisch nach der Tasche. Sie war in einem furchtbaren Zustand, trug immer noch ihre Sportweste und die Shorts, ihre Haare waren mit Bändern zurückgebunden, und ihre Füße steckten in schweißnassen Socken in schmutzigen Sportschuhen. In ihrer Tasche
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