Der unsichtbare Killer
Dies ist das Zeitalter der totalen Digitalisierung. Alles ist jederzeit online.«
»Ah ja, und deshalb haben unsere Politiker auch alle so eine reine Weste und funktioniert unsere Welt so perfekt, nicht wahr? Weil alle alles wissen und es keine Versteckmöglichkeit gibt.«
»Ich hab nicht –«
»Es gibt Dinge, Detective, von denen Sie sich keine Vorstellung machen. Seien Sie froh darüber. Und jetzt konzentrieren Sie sich gefälligst auf Ihren Job und liefern mir ein paar Beweise. Entweder dafür, dass irgendein Spinner sich in seinem Keller einen Energieanzug gebastelt und es auf die Norths abgesehen hat, oder wir uns einer ernsthaften transstellaren Krise gegenübersehen.«
»Genau.«
Einen Moment lang sah Vance ihn abschätzend an. »Ich bin in der örtlichen HDA-Basis«, informierte er ihn schließlich. »Sie sehen mich nicht wieder, zumindest nicht hier. Ralph ist jetzt Ihr Kontaktmann. Klar?«
»Klar.«
»Machen Sie’s gut«, sagte Vance, während er Ralph die Hand schüttelte.
Ohne beim Hinausgehen noch irgendjemanden aus dem Team eines weiteren Blickes zu würdigen, stakste Vance alsdann aus der Abteilung. Sid stieß erleichtert die Luft aus.
»Tut mir leid«, sagte Ralph.
Sid war ein wenig überrascht, ein leichtes Grinsen auf dem Gesicht des Sonderermittlers zu sehen. »Au Mann, ey.«
»Ist einfach so seine Art, den Kotzbrocken zu spielen«, sagte Ralph. »Er denkt, er würde damit Stärke demonstrieren. In gewisser Weise stimmt das sogar. Deshalb auch die Watsche für Ihren Kollegen da draußen. Damit bloß jeder weiß, wer der Chef ist.«
»Das wird ihm hier keine Freunde einbringen.«
»Er sucht keine Freunde. Und, Sid, ich im Übrigen auch nicht. Diese ganze Sache ist bis zu General Shaikh hochgegangen. Sie haben doch schon von General Shaikh gehört, nehme ich an?«
»Ja, ich weiß, wer er ist.«
»Gut. Dann begreifen Sie wahrscheinlich auch, wie kritisch die Lage ist.«
»Ich denke, ich komm so langsam dahinter.«
Die HDA unterhielt in der Nähe jedes Gateways auf der Erde eine große Basis, um für einen Zanthschwarm gewappnet zu sein. Newcastle bildete da keine Ausnahme. Die Büros und Kasernengebäude wie auch der Hauptsammelpunkt befanden sich im Stadtteil Shipcote, südlich des Flusses, und trug genau jene Art strenger Zweckbauweise zur Schau, von der letzten Endes sogar die sowjetische Architektur mit beschämtem Schaudern Abstand genommen hatte. Kantige Betonmauern mit schmalen Fenstern und obenauf montierten hochentwickelten Sensoren kauerten auf dem erhöhten Gelände und blickten auf das wilde Wuchern der Last Mile darunter herab wie eine unerschütterliche, über die Hütten von Leibeigenen emporragende mittelalterliche Burg.
Natürlich war das, wie jeder Geordie schon von der Wiege an wusste, reine Show; falls St Libra wirklich jemals von einem Zanthschwarm angegriffen werden sollte, würden die HDA und Grande Europe einfach das Gateway zuknallen. Niemand würde Welle um Welle der Besten der Menschheit durch das Tor schicken, um eine Welt zu verteidigen, die nichts als Firmendrohnen und haufenweise renitente Unzufriedene beherbergte.
Nachdem er in sein neues Standard-Militärbüro geführt worden war, starrte Vance durch das Panzerglasfenster auf die dahinschleichenden Fahrzeuge und vereinzelten Fußgänger, die sich aus dem letzten Stück der Last Mile schlängelten und in Richtung des großen viereckigen Betonbaus strebten, in der die Anlage untergebracht war, die das Gateway aufrechterhielt. Das der Last Mile direkt gegenüberliegende Ende, das Gateway selbst, ähnelte einem vertikalen Nebelpfuhl, der sich in einer silbernen Phosphoreszenz wand und in sich verdreht war. Vance konnte freilich nur das obere Drittel sehen, wo sich eine von der Last Mile ausgehende brückenartige Metallrampe in die transräumliche Verbindung schob und freien Zugang nach St Libra gewährte. Verborgen unter der erhöhten Straße befand sich die enge Gegenspur, die sämtliche Ankömmlinge geradewegs zum Grenzschutzterminal verfrachtete. Doch darunter, und eine gute Hälfte des Gateways einnehmend, verliefen die zwölf riesigen Bioil-Pipelines, die rasch in einem steilen Winkel in die unterirdischen Tunnel abfielen, über welche die Reise des kostbaren Rohstoffs zu Lagerdepots an der Ostküste und in das innereuropäische Verteilungsnetz weiterging. Tagtäglich wurden hier Kohlenwasserstoffe im Wert von Milliarden von Eurofrancs durchgepumpt, die dabei halfen, einen Teil des schier
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