Der unsichtbare Killer
jüngeren Bruder.
»Mutter, das ist Raul.«
»Angela DeVoyal«, sagte er erschüttert. » Die Angela DeVoyal. Entschuldigen Sie, aber wir alle haben lange darauf gewartet, Sie zu treffen.«
»Natürlich habt ihr das«, sagte Angela zu ihm, und dann musste sie schallend lachen, als sie merkte, wie lächerlich diese Bemerkung war.
Niemand hatte viel mitzunehmen. Die meisten machten sich nicht einmal die Mühe, noch einmal zu den Fahrzeugen zu gehen, um ihre persönlichen Dinge zu holen. Angela gehörte zu denen, die es taten. Ihre Tasche und die Dinge darin, die sie bei Birk-Unwin gekauft hatte, waren ihre einzigen persönlichen Besitztümer – und noch dazu die ersten seit zwanzig Jahren.
Jedes einzelne hatte sie mit dem Geld bezahlt, das sie in Holloway verdient hatte. Man konnte sein Geld nicht schwerer verdienen als auf diese Weise. Das machte die Gegenstände zu etwas sehr Wichtigem.
Nachdem sie den reifüberzogenen Beutel aus dem Tropic-2 gezogen hatte, schaltete sie die Energiezellen des Fahrzeugs aus. Sie waren seit letzter Nacht auf Standby gewesen. Angesichts der hohen Temperaturen, mit denen sie arbeiteten, würden sie bei den herrschenden Minusgraden vermutlich platzen, wenn man sie wieder einschaltete. Dieses Risiko hatte Elston nicht eingehen wollen. Die Lichter am Armaturenbrett gingen aus. Zum ersten Mal seit achtzehn Tagen hatte sie nicht das klagende Brummen der Maschinen im Ohr.
Achtzehn Tage?
Sie zitterte. Die Reise des Konvois war zu intensiv gewesen, zu emotional, als dass sie nur achtzehn Tage gedauert haben konnte. Selbst die Freude darüber, wieder mit Rebka vereint zu sein, war kein Ausgleich für das ungeheuerliche Ausmaß all dessen, was sie hatte ertragen müssen.
Angela verließ den Tropic und sah, dass der Barclay-Avatar auf dem zugefrorenen Fluss wartete, während Ken, Sakur und Tamisha Botins Trage zum Raumschiff trugen. Das nichtmenschliche Ding war so ungerührt wie immer. Es stand vollkommen still da, während fette Streifen des Polarlichts es liebkosten, als würde es Zwiesprache mit dem Lichtsturm halten. Mit ihrem geistigen Auge warf sie einen Blick in die es umgebende humanoide Hülle, sah durch sie hindurch und erkannte den in den Pflanzen lebenden Geist; eine sagenhaft komplexe Lebenskraft, die einen Planeten umhüllte, wie eine Korona sich an einen Stern schmiegt. Gewaltig und unsterblich, der Triumph einer Evolution, die Milliarden von Jahren jenseits von allem war, was die terrestrische Biologie anzustreben vermochte. Mit Fähigkeiten ausgestattet, die sich Menschen nicht einmal für ihre Götter ausgedacht hatten. Sie stand darauf, stand inmitten davon. Unbedeutend, winzig, während ihre Zeit dahinflog.
Die Aussicht nahm sie mit. Wirklich … Wo war der Sinn in einem Leben, das so klein war wie das ihre in einer Galaxis, die St Libra und die Zanth umfasste?
Ein Schluchzen riss sie aus ihren trübseligen Gedanken. Lulu MacNamara lehnte am Tropic-3 und weinte sich das kleine Herz aus dem Leib, während sie ihre billige nachgemachte Designertasche fest umklammerte und sich nicht darum scherte, dass ihr die Tränen auf den aufgerissenen, verschorften Wangen gefroren.
Angela ging zu ihr. »Was ist los, Liebes? Wir sind gerettet. Wir werden das hier bald hinter uns gelassen haben.«
»Ich weiß«, jammerte Lulu. »Aber das Gateway ist weg, oder so was in der Art. Ich habe gehört, wie das Monster es gesagt hat. Jetzt werde ich nie wieder nach Hause kommen, nie mehr meine Oma sehen. Sie wird sich solche Sorgen machen.«
»So etwas wie nie gibt es nicht«, sagte Angela zu ihr. »Sieh mich an, ich habe zwanzig Jahre gebraucht, um Rebka wiederzufinden, aber ich habe sie wiedergefunden. Deine Oma wird auf dich warten, wenn du nach Hause kommst.«
»Und wie?«, flehte das Mädchen.
»Das weiß ich nicht«, sagte Angela forsch-fröhlich. »Aber so ist das mit der Zukunft: Du springst einfach in sie hinein und nimmst, was sie zu bieten hat. Ist das nicht irgendwie wundervoll? Du willst nach Hause gehen, zurück nach Newcastle? Wenn wir also wieder in Abellia sind, steh auf und ruf’ so laut du kannst: Wer will mitkommen? Wenn es genug von euch gibt, werdet ihr euch selbst ein Gateway bauen.«
»Ja, als wenn ich das könnte. Ich bin nur eine Kellnerin.«
»Lulu, du hast hier etwas überlebt, bei dem niemand von uns eine große Chance hatte, es zu überstehen. Es war die bemerkenswerteste, entsetzlichste, brutalste Zeit meines Lebens; und glaube mir, ich bin an Orten
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