Der unsichtbare Killer
unberührt schaute Angela auf die Schneelandschaft hinaus. Jahrelang hatte sie Pläne geschmiedet, was sie an diesem Tag mit all seinen Millionen möglicher Varianten tun wollte, doch jetzt war er da, und sie musste ein paar schwere Entscheidungen fällen. Die erste, die auf der Hand liegende, war, dass sie zurück nach St Libra gehen würde. Nur dort konnte sie die losen Enden, die sie vor zwanzig Jahren fallen gelassen hatte, wieder aufgreifen. Außerdem wäre es geradezu idiotisch, das ausgerechnet jetzt zu verschieben. Doch in der Zwischenzeit waren gewisse Dinge zu erledigen, musste sie ein paar Vorbereitungen treffen, so gut sie dies vermochte.
Angela riss die runde Spectrum-Schachtel auf. Wie die Verpackung, so war auch die Anleitung denkbar simpel gehalten. Schwarzweißdiagramme erklärten, was zu tun war, damit es auch der Dümmste verstand. Sie zog das kleine, an ein medizinisches Infusionsgerät erinnernde Applikationsröhrchen ab, dessen Teile aus einer kurzen, dicken Nadel und einer Druckgaskartusche bestand, deren Verbindung problemlos einrastete. Als Nächstes kam ein schmales Magazin mit vierzehn deutlich gekennzeichneten erbsengroßen, kammerartigen Kapseln zum Vorschein, das sich ebenfalls mühelos an das hintere Ende des Röhrchens andocken ließ. Die erste Kapsel enthielt eine Aural-Smartcell. Sie steckte sich das C-förmige Plastikteil hinter ihr linkes Ohr, welches das Röhrchen korrekt positionierte, und drückte den Auslöser. »Autsch.« Es war ein Gefühl, als würde man von einer winzigen Babybiene gestochen. Doch stattdessen hatte das Applikationsröhrchen die Smartcell dicht an ihrem Innenohr platziert, wo deren Vibrationen als normale Geräusche zu hören sein würden. Die Einstichstelle wurde kalt, als das Röhrchen einen Tropfen antiseptisches Gel abgab. Angela warf die leere Kapsel aus und steckte sich das Stück Plastik hinter das rechte Ohr. Es folgte die Vocal-Smartcell, im hinteren Rachenbereich, gleich neben den unteren großen Backenzähnen. Die Hände: eine in die Innenfläche, dann auf jede Fingerspitze.
Schließlich nahm sie den Kontaktlinsenbehälter aus der Schachtel. Wenn man das Siegel aufbrach, wurden sie automatisch in Gang gesetzt, also setzte sie sich die transparenten kleinen runden Dinger rasch auf die Augen, blinzelte ein paarmal gegen das Fremdkörpergefühl an, und überprüfte sodann mit einem der Packung beigelegten kleinen Spiegel, ob sie korrekt zentriert waren. Nachdem sie sich zu ihrer Zufriedenheit davon überzeugt hatte, initiierte sie das Pad, das den einmaligen Aktivierungscode enthielt. Die Kontaktlinsen waren der teure Teil des Pakets, jede von ihnen barg ein Dutzend Iris-Smartcells, die kleinsten Smartcells, die produziert wurden. Nachdem sie den Code empfangen hatten, führten die Linsen Nanofasern in ihre Augäpfel ein und injizierten die Smartcells ringförmig um die Iris. Diese griffen ineinander, richteten sich aus und schossen dann Testimpulse auf ihre Sehnerven ab.
Die Deutlichkeit war verblüffend, auf ein so scharfes Bild war sie nicht vorbereitet gewesen. Für einen kurzen Moment hatte sie Angst, die Smartcells würden ihre Netzhaut verbrennen, so leistungsstark waren sie. Es war ein übles Déjà-vu. Doch dann tauchte ein Basisrasterfeld aus grünen Linien auf, das sie wieder beruhigte. Sie schloss, wie die Anleitung empfahl, ihre Augen, und ihr Bodymesh startete die vollständige Kalibrierungssequenz. Töne erklangen in ihrem Ohr. Murmelnd las sie die Wort ab, die auf ihrem Rasterdisplay erschienen, damit das Interface ihre Sprachmuster erlernen konnte. Die Bodymesh-Software benötigte gerade mal eine Minute, um aus ihrer persönlichen Konfiguration eine Minimal-E-I zu erstellen. Nachdem ihr Stimmabdruck fest mit dem System verknüpft war, definierte sie unter Anleitung der E-I die Farben und die Positionierung des Rasters und wählte ihre Standard-Icons aus. Zum Schluss öffnete sie wieder die Augen, um sich den virtuellen Keyspace anzusehen, den das Rasterfeld einblendete, ein rot umrandeter Würfel über einem leeren Sitz neben ihr, mit darin schwebenden Icons. Als sie ihre Hände hindurchbewegte, errechnete das Bodymesh deren Position, sodass sie die Rädchen an den Icons bewegen konnte. Noch ein paar weitere Minuten der finalen Kalibrierung und Einweisung, und es war vollbracht. Nun war sie wieder ein volldigitaler Bürger. Die leeren Kontaktlinsen blätterten ab, und sie packte sie zusammen mit dem verbrauchten
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