Der unsichtbare Killer
dort tatsächlich ein Monster, stimmt’s?«
»Definitiv. Wenn Sie also wirklich klug sind, Sergeant –«
»Ich bin nur Corporal, und nennen Sie mich Paresh.«
»Paresh«, nahm sie sein Angebot an. »Also gut, Paresh, wenn Sie klug sind, sind Sie derjenige, der abhaut.«
»Ich schätze, dann bin ich wohl dumm.«
»Das sind wir alle, auf unsere ganz eigene Weise.«
Das war die erste Äußerung von ihr, die zumindest ansatzweise einem wirklichen Gespräch nahekam. Auch wenn sie etwas unheimlich war. »Ich weiß, Sie sind eine ganze Weile nicht draußen gewesen«, sagte er. »Aber wenn man hier so rumsteht, wird’s einem mit der Zeit schweinekalt. Darf ich Sie zu einem Kaffee einladen?«
Angela schaute zu der Café-Filiale neben dem großen TravelMart-Store der Tankstelle hinüber. Die Legionäre des Konvois scharten sich um jeden Tisch, laut lachend, wenn sie ihre Späße mit den erschöpften Serviererinnen machten. »Ich wette, das sagen Sie zu allen Mädchen.«
»Zu jedem einzelnen.«
»Wissen Sie, das hier entspricht nicht unbedingt dem ersten phantastischen Essen nach meiner Freilassung, wie ich es geplant hatte.«
»Das Beste, was ich anzubieten habe.«
»Dann nehme ich an. Was meinen Sie, haben die wohl auch heiße Schokolade mit Marshmallows?«
»Finden wir’s raus.«
Während der restlichen Fahrt hinauf nach Newcastle gab Angela sich Mühe, sich so normal zu benehmen, wie sie konnte. Es war nicht ganz einfach, abgesehen von verschwommenen Erinnerungen, die nicht gerade zu einem der Norm entsprechenden Leben gehörten, waren ihr so wenige Referenzpunkte geblieben. Sich wieder in der Freiheit zurechtzufinden, stellte sich als schwieriger heraus, als sie es sich vorgestellt hatte. Es ging alles so schnell – vor weniger als vierundzwanzig Stunden hatte sie noch in derselben Zelle gebrütet, in der sie immer gewesen war, hatte roboterhaft die immer gleichen Aufgaben erledigt, das immer gleiche Essen gegessen und nur nicht über irgendetwas nachgedacht, denn nur so überlebte man einen Tag nach dem anderen. Und nun war sie hier, auf dem Weg zurück nach St Libra, was wirklich der letzte Ort in der Galaxis war, wo sie hinwollte.
Die heiße Schokolade im Little Chef war überraschend gut. Gut, weil es keine heiße Gefängnisschokolade war. Und auch die Hefeteilchen, die Paresh ihr als Dreingabe spendiert hatte, waren die leckersten, die sie seit zwei Jahrzehnten gegessen hatte. Und dann war da das Gelächter. In den letzten zwanzig Jahren war Gelächter für sie nur der Zwilling von Grausamkeit gewesen, der Klang teuflischen Triumphs, der wimmernde Schreie begleitete, und nichts mit dieser sorglosen Freude gemein hatte. Es würde lange dauern, sich wieder daran zu gewöhnen. All diese jungen, zuversichtlichen Legionäre, die sich wie ein Football-Team nach dem gewonnenen Spiel um die Restauranttische drängten und mit ihren ausgelassenen Flachsereien dafür sorgten, dass die Fenster beschlugen. Wenn sie sie so wie Schulkinder herumkaspern sah, konnte sie nichts als Mitleid mit ihnen empfinden. Wenn die Expedition erfolgreich war, würden sie alle tot sein.
Als die Minibusse mit Bioil vollgetankt waren, stürzten die Legionäre sich gegenseitig anrempelnd aus dem Little Chef und eilten zu ihren Fahrzeugen zurück. Angela sprang noch rasch in der TravelMart rein und ließ sich von der stellvertretenden Geschäftsführerin das teuerste Spectrum-Smartcellinterface-Basispaket aus der abgeschlossenen Glasvitrine hinter der Ladentheke holen. Nicht, dass sie eine große Auswahl an Herstellern gehabt hätte. Sie hatte seit mehr als zwanzig Jahren keine direkte Verbindung ins Transnet mehr besessen, nicht seit sie ihre Cy-Chips entfernt hatte, bevor sie von Melyne Aslo rekrutiert worden war. Smartcells seien viel besser als die alten Cy-Chips, so hatten die neueren Ankömmlinge im Holloway gesagt.
Sie benutzte zum Bezahlen die Karte der Sozialbank und war einigermaßen froh, dass die Transaktion ohne irgendwelche Fehlermeldungen durchging, und noch froher darüber, dass die noch nicht einmal dem Teenageralter entwachsene stellvertretende Geschäftsführerin nichts sagte, als sie die SBcard wedelnd durch den Kassen-Keyspace zog. Es war, als würde sie hinter sich die Gefängnistore zuknallen hören, aber diesmal wirklich. Sie war draußen. Sie war frei.
Der Autopilot des HDA-Minibusses lenkte das Fahrzeug aus dem Tankstellenbereich und fädelte sich in den nach Norden fahrenden Verkehr ein. Seltsam
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