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Der unsichtbare Kreis

Der unsichtbare Kreis

Titel: Der unsichtbare Kreis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernd Ulbrich
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Stein, ein opalähnliches Mineral. Ein Zufall, wie ihn die Natur millionenfach hervorbringt.«
Der Sohn hob ruckartig den Kopf. »Es sind Teile eines Raumschiffs.«
Die Eltern tauschten einen besorgten Blick. »Laß uns gehen.«
»Warum glaubt ihr mir nicht? Es ist hier abgestürzt.«
»Du wirst im nächsten Monat in die fünfzehnte Stufe übernommen. Denke über dein Verhalten nach, sonst wirst du kaum die Weihe erhalten.« Des Vaters Augen schimmerten hinter dem Helmvisier.
Beschämt senkte der Knabe den Kopf. Seine Arme wurden schlaff, und aus den Händen fielen langsam die Steine zu Boden. Er stand wie erstarrt, dann drehte er sich um und ging ohne ein Wort der Erklärung davon. Seine Schritte wurden schneller und schneller. Laufend umrundete er eine Felsenekke und verschwand. In den Kopfhörern hörten sie sein schnelles Atmen.
Einem Reflex folgend, wollte die Mutter ihm nacheilen, doch rechtzeitig hielt sie inne, bemerkte: »Du siehst, was diese Exkursion anrichtet. Noch nie hat er so verworren gesprochen, derart impulsiv gehandelt.«
»Der Hypnonder wird es korrigieren.«
»Der Hypnonder, der Hypnonder«, sagte die Frau leise und erregt.
Der Mann musterte sie verwundert.
Sie murmelte hastig: »Meine Gedanken waren nicht mein. Verzeih meine Heftigkeit.«
Die rituelle Formel besänftigte ihn. Trotzdem fühlte er sich gedrängt, es nicht wortlos hinzunehmen. »Alles, was wir sind, verdanken wir dem Hypnonder. Er hat uns von der Angst befreit.«
»Vorher waren die Menschen Tiere«, ergänzte sie.
Hand in Hand gingen sie weiter. Als sie um den Felsen bogen, sahen sie ihren Sohn in einem Geröllfeld stehen. Zwischen das Braungrau mischte sich mattes Weiß, als wäre ein Spiegel in tausend Scherben zersprungen. Es handelte sich um leuchtend helle, kantige, matt opalisierende Bruchstücke.
Den Kopf tief gesenkt, stand ihr Sohn dicht vor einem Brocken, dessen Form und Größe an einen sitzenden Menschen erinnerte.
»Komm«, forderte die Mutter, »komm von diesem Stein fort. Er ist chaotisch, bedrohend, formlos.«
Der Junge hob den Kopf und starrte den Stein an. Ohne den Blick zu wenden, sagte er: »Siehst du nicht, er ähnelt einem Menschen, der auf einem Stuhl sitzt.«
»Komm«, wiederholte die Mutter. »Ich möchte nicht, daß du zweimal in den Hypnonder mußt.«
»Komm«, sagte auch der Vater. »Als künftiger A-fünfzehn mußt du zwischen schön und gegenschön, zwischen künstlich und unsynthetisch selbständig unterscheiden können.«
Der Sohn rührte sich nicht. Die Worte seiner Eltern waren ihm plötzlich unverständlich. Er bildete sich ein, er vernähme eine fremde und doch vertraute Stimme. Kam sie aus seinem Innern? Sie wollte ihm etwas mitteilen, etwas Ungeheuerliches. Er bemerkte nicht, wie seine Eltern ihn bestürzt betrachteten. In einem anderen Sein versinkend, glaubte er, Jahrzehnte zu durchleben, die ihm nicht gehörten. Doch es dauerte nur einen Augenblick. Er kehrte zurück. Sein Gesicht fühlte er wie eine harte, leblose Masse. Er meinte zu lächeln, doch seine Züge blieben unbewegt.
Die Mutter eilte auf ihn zu, drängte ihn mit sich fort, als stünden sie am Rande eines brodelnden Kraters. Wie um ihre stille Flucht aufzuhalten, trat der Vater ihnen in den Weg, lachte. Doch der Sohn empfing keine Sicherheit daraus. Er machte sich frei, trat zurück.
»Sind das – Edelsteine?«
Der Vater zuckte mit den Schultern. »Es ist unrein wie alles Natürliche.«
»Warum suchten dann in der Vorzeit Menschen danach?«
»Woher hast du so etwas erfahren?« fragte die Mutter.
Unschlüssig schwieg der Sohn einen Moment lang. »Ich kann mich nicht erinnern.« Seine Stimme war schwerfällig. »Es fiel mir gerade ein.«
»Es ist nicht nötig, so etwas zu wissen. Für jemanden deines Reifegrades ist es sogar schädlich. Diese Dinge liegen weit zurück. Sie sind unwichtig für uns, denn sie waren der Menschen unwürdig. Sie sind lange bewältigt.«
»Woher hast du es erfahren?« fragte der Vater. »Warum kommst du gerade jetzt darauf?« An seinem Helm schimmerte das rote Licht des Hypnonders. Der Sohn konnte ihm nicht entfliehen. Es flammte in suggestivem Rhythmus auf.
»Er sagt es.«
»Wen meinst du?«
Der Junge blickte stumm und hilflos auf das rote, zuckende Licht. »Warum sollte O’Skryllis lügen?«
Die Mutter nahm ihn bei den Schultern. »Liebst du nicht meinen Schmuck, die künstlichen Edelsteine? Die Erde! Du liebst sie doch?«
»O ja«, erwiderte der Knabe.
Ihr Arm wies gegen den Horizont. »Haßt du

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