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Der unsichtbare Kreis

Der unsichtbare Kreis

Titel: Der unsichtbare Kreis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernd Ulbrich
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von dem die Stimme ausging.
Gleich einem heftig atmenden Menschen schien der Stein zu pulsieren. In seinem weißen Innern trieben Schatten ihr Spiel, umwoben von schillernden Schlieren. Langsam aus der Tiefe steigend, formte sich ein Gesicht, leidvolle Augen, eingeschlossen in den Stein. Sie hatten die unbekannte Erde gesehen, mit ihren fremden Städten, den längst vergangenen Menschen, sie hatten jene Welten gesehen, in deren Düsternis und Einsamkeit sich das Geheimnis des Lebens verbarg und die Schönheit und die Gefahr. Längst war die Gier in den Augen erloschen.
Die Eltern sahen im ungewissen Licht der Sterne ihren Sohn vor jenem länglichen Stein stehen, der eine gewisse Ähnlichkeit mit einem hockenden Menschenwesen hatte. Der Knabe hob die Arme hoch über den Kopf. Die Hände umklammerten einen dunklen Felsbrocken. Der Vater eilte vorwärts.
Sich streckend, spannte der Junge seinen Körper und schleuderte den Felsen, indem er einen spitzen Schrei ausstieß, mit verblüffender Gewalt gegen das hellschimmernde Ding. Während der Stein unter der Wucht des Geschosses zerbarst, brach der Knabe zusammen.
Als er zu sich kam, lag er, weich in ein kräftigendes Energiefeld gebettet, im Hypnoraum des Schiffes. Über ihn beugten sich die Gesichter seiner Eltern. Sie zerstörten das Antlitz O’Skryllis’. Er haßte sie dafür.
»Strengt es dich an zu sprechen?«
Der Knabe schwieg. Für ihn antwortete der Hypsychosator.
»Er will nicht sprechen, er will eine Sperre aufbauen. Ich werde sie verhindern.«
»Noch nicht.« Die Stimme des Vaters war sanft, geheimnisvoll schwebend.
»Warum hast du das getan? Du hast einem zerstörenden Trieb gehorcht, archaisch, tierisch, spontan. Warum?«
»Ich begreife es nicht«, sagte die Mutter. »Hat sich der Hypsychosator geirrt? Er hat doch die Exkursion zugelassen und befürwortet.«
»Er kann sich nicht geirrt haben. Das ist unmöglich«, entgegnete der Vater ratlos.
»Natürlich«, murmelte die Frau.
»Es muß etwas von außen gekommen sein.«
»Etwas Überraschendes?«
»Gibt es etwas, was den Hypsychosator überraschen könnte?«
»Nein.«
»Er sieht alles voraus!«
»Trifft uns die Schuld?« Ihr Blick forschte ängstlich in seinen Zügen.
»Der Hypsychosator wird die Antwort finden.« Bevor er sich dem Knaben zuwandte, glättete der Vater sein Gesicht. »Kannst du dein Verhalten logisch herleiten?«
Der Sohn antwortete nicht. Seine Augen blickten durch die Eltern hindurch. Er genoß eine merkwürdige, unbekannte Lust. Noch nie hatte er so deutlich sich selbst empfunden. Es war ein tiefes, intimes Gefühl, und er haßte jede Störung. Wo war O’Skryllis?
Vor ihm hatte sich ein fremdes Leben ausgebreitet, eine fremde Zeit, und irgendwo da drinnen mußte O’Skryllis zu finden sein.
Der Vater fuhr ihm zärtlich über die Stirn. »Bist du dir klar darüber, wie gefährlich solche Affektionen für deine Entwicklung zur endgültigen Sanftheit sind?«
»Du weißt, daß Schädigungen der Hautsensibilität schwer zu korrigieren sind«, sagte die Mutter. Sie streichelte seine Hand.
Die Blicke des Jungen irrten zwischen seinen Eltern hin und her. Die Worte um ihn drängten sich zusammen zu hallenden Wänden. Er hörte Echos, die O’Skryllis’ Stimme übertönten. Sein Gesicht verzerrte sich zu einem Lächeln. Sie konnten ihm nichts mehr nehmen, nichts.
»Es fällt mir schwer«, die Stimme seiner Mutter dröhnte leise, »aber du mußt in den Hypnonder zur DoppeltintensivBehandlung. Mit diesen Erinnerungen belastet, erreichst du nie die höchste Stufe.«
»Ich will nicht«, sagte der Knabe.
»Es ist zu deinem Besten. Der Hypnonder wird dir dein Verhalten analysieren und verzeihen.«
»Ich mußte es tun… Ich will es nicht vergessen… Ich will es nicht analysieren lassen…« Seine Stimme war klar, ohne kindlichen Trotz.
»Warum mußtest du es tun?«
Um den Mund des Knaben zuckte es. »Ich – hatte Mitleid.«
Die Eltern wechselten einen Blick. »Mitleid? Mit einem Stein?«
»Mit einem Stein!« schrie der Knabe. Höhnisches Gelächter schüttelte ihn. »Ja, mit einem Stein.« Er schloß die Augen, flüsterte nochmals: »Mit einem Stein.«
Als wollte sie ihm eine dumme Lüge verzeihen, fragte die Mutter mit unbeirrter Zärtlichkeit: »Also, was war es?«
»Ich habe O’Skryllis getötet.«
Die Hand der Mutter ruhte schwer auf seiner Stirn. »Getötet?«
»Ich habe ihn erlöst.«
Der Vater gab dem Automaten den Befehl, und augenblicklich schlief der Knabe ein.
»Er muß bis zur Ankunft

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